Das Setup
Als das Schulleitungsteam beschloss, den Versuch zu genehmigen, einen vierstündigen Gemeinschaftskunde-Kurs digital zu bestreiten, jubilierte ich zunächst, wohl wissend, dass dieser Kurs viel Arbeit beinhaltet. Nun ist es soweit, wir sind mitten drin. Wir, das sind 14 Schülerinnen und Schüler (3 sind spontan dazugestoßen, weil sie das Experiment reizte, übrigens alle drei Mädchen!), ein Praktikant, der über das Programm Lehrwerkstatt ein ganzes Jahr den Kurs zusätzlich begleitet und ich als mutiv-nativer Lehrer.
Der digitale Wandel interessiert mich systemisch als Schulentwickler, aber eben auch als Praktiker aus didaktischer Perspektive. Wie wandelt sich der Unterricht, wenn die Grundlage eine andere ist? Bei den Videos zur Tagung “Schulentwicklung digital” in Berlin (September 2016) sagte ein Lehrer aus London sinngemäß, dass es nicht darum geht, den bisherigen Unterricht mit digitalen Medien anzureichern, sondern durch Digitalisierung auf eine neue Basis zu stellen, neu zu denken. Genau das haben wir vor.
Reflexion mit dem SAMR-Modell
Zur Reflexion soll uns das SAMR-Modell dienen. In diesem geht es prinzipiell um die Wahrnehmung verschiedener Ebenen in dem Prozess, den wir jetzt gemeinsam durchlaufen:
- Im ersten Schritt kommt die Substitution (Ersetzung) von bisher traditionell genutzten Materialien und Aufgaben durch eine digitale Version, also beispielsweise wird ein Text nicht mehr kopiert mitgebracht, sondern am Bildschirm gelesen.
- Die zweite Ebene ist die Augmentation (frei übersetzt: Erweiterung). Es geht hier z. B. um den Einsatz von Verlinkungen, Videos, Wörterbüchern etc. Vieles davon könnte auch auf dem herkömmlichen Weg noch funktionieren, geht aber hier schneller.
- Die dritte Ebene ist die Modification (Veränderung). Die Aufgabenkonzeption setzt die Arbeit im Digitalen voraus; es kommt zu einer Neugestaltung. Ein Beispiel: Die Ausarbeitung von Präsentationen, Grafiken etc. mit ausführlicher digitaler Recherche.
- Die vierte Ebene ist die Redefinition (frei übersetzt: Neubelegung): Die Aufgaben verändern sich mit den Möglichkeiten. Ein Beispiel: Es soll kein längerer Text mehr geschrieben werden, sondern ein Storytelling mit Bildern und Videos ist das Ziel. Oder: Es wird keine Zeichnung zum komplexen theoretischen Text erstellt, sondern ein Video bricht die Inhalte herunter (vgl. dazu auch die Seite der Uni Paderborn)
Die Kursgrundlage: Das OneNote Kursnotizbuch (Class Notebook)
Unsere Schule bietet allen Schülerinnen und Schülern eine Office365-Lizenz. Die Ausweitung dieser Lizenzen auf alle am Schulleben Beteiligten war kein großer zusätzlicher Kostenfaktor. Die Einrichtung des Kursnotizbuchs, auf das alle Schülerinnen und Schüler des Kurses zugreifen, lief bereits im letzten Schuljahr, um technische Hürden zu vermeiden. Trotzdem gab es sie: Auf einmal konnten drei Schüler nicht mehr auf die gemeinsame Plattform zugreifen, Lizenzen waren nicht vollständig zugewiesen (das Kursnotizbuch braucht eine eigene Lizenz).
Was leistet OneNote?
Es gibt eine Inhaltsbibliothek (wo alle Aufgaben, Arbeitsblätter etc.) von mir als Lehrer kopiergeschützt bereitgestellt werden können und von da aus auch “verteilt” werden.
Es gibt einen Platz für Zusammenarbeit: Hier werden Kursergebnisse gesammelt und ggf. für alle “kopiert” (digital).
Es gibt persönliche Kursnotizbücher der Kursmitglieder, die frei zugestalten sind und auf die ich als Lehrer Zugriff habe, den ich nicht nutzen werde, außer ich soll eine Hausaufgabe korrigieren. Die kann ich relativ komfortabel per Mausklick “einsammeln” und anschließend wieder austeilen.
Was leistet OneNote nicht?
Es ist keine Kommunikationsplattform. Dafür hat Microsoft die “Classroom”-Oberfläche vorgesehen, die ist aber noch nicht ausgereift genug für diesen Versuch. Es braucht also weiterhin E-Mails.
Die Synchronisation ist leider nicht so schnell wie bei Etherpads oder Google Docs. Das bedeutet, dass es zu “Konflikten” in Versionen kommen kann, weil SchülerInnen in das gleiche Feld schreiben. Diese muss ich als Lehrer “auflösen”, und das nervt.
Einen einfachen Zugang stellt OneNote auch nicht dar: Man muss ständig seine Login-Daten neu eingeben. Warum, bitte, Microsoft?
Warum BYOD?
Für mich ist das die Zukunft: BYOD bei gleichzeitiger Bereitstellung von Notfall- und Ersatzgeräten durch die Schulen. Die Geräte werden dadurch gewartet und sorgsam behandelt und man kennt sich damit aus. Die Vorgaben meinerseits waren simpel:
- Mindestens 9.7” (iPad-Größe)
- Kopfhöreranschluss
- Microsoft OneNote muss laufen (also Windows, Mac, iOS oder Android sind möglich).
Wie waren die ersten zwei Wochen?
Geprägt von Versuchen. Zunächst führe ich immer in das Abitur mit seinen Anforderungen ein, um das Ziel gemeinsam in den Blick zu nehmen. Gerne gehen wir dann auch andere Wege, aber die Fokussierung über 2 Jahre gelingt m. E. so am besten. Also erarbeiteten wir fachliche Methoden (Textanalyse, Umgang mit Statistiken, Urteilsbildung, Umgang mit Karikaturen), und dies weitgehend traditionell bzw. unter dem Motto “Substitution” (s.o.). Allerdings gab es zu Beginn gleich ein Kahoot-Quiz zum aktuellen politischen Geschehen, die “Erweiterung” hat also bereits begonnen.
Zwei Dinge sind mir aufgefallen: Ich habe mich dabei ertappt, wie ich noch etwas an die Tafel geschrieben habe, unnötigerweise. Außerdem hab ich am Ende der zweiten Woche längere Texte kopiert, weil sich herausstellte, dass die SchülerInnen die Ergebnisse Ihrer Arbeit und den zu bearbeitenden Text gleichzeitig auf den kleinen Bildschirmen nicht gut parallel darstellen konnten.
Soweit meine ersten Gedanken. In den nächsten Monaten werden an dieser Stelle auch die SchülerInnen zu Wort kommen.