Das Regionalbüro Süd der Deutschen Schulakademie veranstaltete am 25.06.2019 in Kooperation mit der Heidelberg School of Education (HSE) eine Fortbildung zum Thema „Schule leiten, gestalten und entwickeln.“ Das Programm hier weiterhin
hier abrufbar. Da ich selbst zusammen mit Anne Sliwka einen Workshop zum Thema „Lernkultur der Oberstufe“ hielt, kann ich nur die Eindrücke von der Keynote, aus den Pausen und aus unserem eigenen Workshop wiedergeben.
Keynote
Im Keynote-Vortrag von Kai Maaz, Direktor am DIPF, wurde ein Potpourri an Elementen zu erfolgreicher Schulentwicklung präsentiert. Besonders hervorzuheben ist, dass er die Beteiligung von Eltern (und auch Schülerinnen und Schülern?) als sehr wichtiges Element darstellte. Der Fokus des Vortrags lag aber m. E. auf einem Plädoyer für datengestützte Schulentwicklung. Man merkte dem Vortrag zweierlei an:
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Maaz kein Mann der Schulpraxis, wie er auch selbst unumwunden zugab. Er denkt in Strukturen klassischer Organisationsentwicklung mit dem Aufwand wie in 2. ersichtlich.
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Die Vorschläge erinnerten an die Zumutungen für Schulen, die mit externer Evaluation oder Vergleicharbeiten enorme Datensammlungen an Schulen verplichtend machten, ohne dass die Schulen selbst wirklich davon profitieren konnten (vgl. dazu auch die Bemerkung von
Hans Anand Pant).
Und so entfaltete sich im Plenum auch durchaus scharfe Kritik. Schulpraktiker wünschen sich ja durchaus Instrumente zur einfachen Diagnose im Unterricht, auch zur Überprüfung von Schulentwicklungsprozessen. Allein sie fehlen, und auch Herr Maaz als Vertreter der Wissenschaft fühlt sich dafür nicht verantwortlich.
Es wurde erneut deutlich: Solange es kein Forum zwischen Politik, Wissenschaft und Praxis gibt und die Politik auf Basis dieses gesammelten Expertentums Bildungspolitik steuert, werden wir noch an viele solcher Grenzen stoßen. Aus der Praxis Gewünschtes wird von der Politik nicht gesehen und von der Wissenschaft nicht gehört weil nicht finanziert. Ähnliche Prozesse finden übrigens auch auf anderen Felder der Digitalisierung statt, zum Beispiel beim Thema Datenschutz oder bei der Bereitstellung von Plattformen (vgl. das Scheitern von Logineo, EllaBW oder den Entwicklungsstand und die Praxisferne der HPI Schulcloud).
Maas selbst befürwortet übrigens sogenannte „Katalysatoren“ in den Schulen. Damit meint er Lehrkräfte, die die Zeit haben, den Kontakt zur Wissenschaft zu halten und für die Vermittlung zwischen beiden Welten zu sorgen. Ich bin skeptisch, weil diese Struktur sehr nach der Einbahnstraße „Wissenschaft => Schule“ klingt und nicht für einen Austausch auf Augenhöhe sorgt. Es braucht hier sicher mehr, echte, finanziell unterstützte Kooperation.
Workshop: Lernkultur in der Oberstufe
In unserem Workshop zur Lernkultur in der Oberstufe setzten Anne Sliwka und ich die Veränderungen, die die Digitalisierung für die Lebens- und Arbeitswelt bedeutet, voraus, und versuchten daraus konkrete Vorschläge zu Veränderung der Lernkultur in der Oberstufe, aber auch insgesamt, abzuleiten.
Veränderung in der Lebens- und Arbeitswelt
Entwicklung von „KI“ und neuronalen Netzen, Entwicklung der Robotik, neue Lernerfahrungen in der Lebenswelt Jugendlicher (Gamification, Nicht-Linearität der Inhalte, formelles vs. informelles Lernen) am Beispiel eines YouTube-Videos und die daraus folgende Problematik des Upskilling. Routinetätigkeiten, auch komplexere, werden über kurz oder lang automatisiert sein, dazu gehören Buchhaltungsjobs, Bankangestellte, Autoverkäufer uvm. Es gibt eine Zunahme an Jobs in den Bereichen „Umgang mit neuartiger Information“ und „Umgang mit unstrukturierten Problemen“ (Bsp. Manche Krebsformen sind nicht heilbar, hier wird eine Lösung gesucht).
Herausforderungen für Schule und Unterricht: Neue Lernkultur
Die Frage ist nun, ob wir tatsächlich, wie Jack Ma, der Chef von Alibaba, bei seiner legendären Rede beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2018 gefordert hat, den Schwerpunkt des schulischen Lernens auf diejenigen Bereiche legen sollten, die Computer nicht erledigen können (Kunst, Sport, Teamwork, Kritisches Denken etc.), also quasi auf Komplementarität setzen. Probleme wurden darin gesehen, dass wir uns damit erstens von der technischen Entwicklung abhängig machen würden, und zweitens komplexe Problemlösungen häufig nur auf einer Basis umfassenden Wissens gefunden werden, die Fachlichkeit also auch die Voraussetzung für die vielzitierten 4K (Kommunikation, Kollaboration, Kreativität, Kritisches Denken) ist.
Der Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen war ein Schulentwicklungsprozess am Evangelischen Firstwald-Gymnasium Mössingen, bei dem bei einer Kick-Off-Tagung zu „Unterricht und Bildungszielen im Jahr 2025“ gemeinsam mit Eltern und Schülerinnen und Schülern überlegt wurde, wie die Schule darauf reagieren sollte.
Das Ergebnis waren eine komplexe
Übersicht, die
an anderer Stelle auf diesem Blog bereits besprochen wurde. Schwerpunkte zur Weiterentwicklung war der Fokus auf dem „Forschenden Lernen“, das Neugier weckt. Ebenfalls wurden Lehrer- und Schülerrolle neu definiert und als letzter Schritt eine Unterrichtsstruktur vorgeschlagen, die sich in diese Bereiche zusammenfassen lässt: Recherche – Produktion – Präsentation – Evaluation/Reflexion. Interessanterweise war diese Struktur genau die gleiche, die auch Anne Sliwka in ihrer Arbeit für Deeper Learning vorschlägt.
Deeper Learning
Anschließend stellte Frau Sliwka ihr Modell des Deeper Learning vor, nicht ohne zu erwähnen, dass der Begriff „Deeper Learning“ durchaus leicht unterschiedlich verwendet wird, unbedingt aber vom „Deep Learning“ (vgl. auch DeepL) abzugrenzen sei. Das Modell ist
an anderer Stelle viel besser beschrieben, ebenso konkrete Unterrichtsbeispiele dazu. Es ist unbedingt einen Blick wert, nicht nur für die Strukturierung des Unterrichts in der Oberstufe.
Fazit
In der Diskussion zu dem Impulsen wurde deutlich, dass wir es vermeiden sollten, permanent künstliche Gegensätze in der Weiterentwicklung der Lernkultur aufzubauen. Dazu gehört, dass die Digitalisierung selbstverständlich Chancen zur Individualisierung bietet, aber ebenso zur Kollaboration – oftmals werden diese Pole gegeneinander ausgespielt.
Eine starke fachliche Basis muss zudem die Grundlage sein für eine Kollaboration, die wirklich eine Forschungsaufgabe mit problemorientierter Fragestellung darstellt.
Ein Fazit zur Veranstaltung: Wo, wenn nicht in solchen halb-privat organisierten Foren findet derzeit der Austausch zwischen Wissenschaft und Schulpraxis statt? Hier müssen wir in Deutschland noch viel besser werden, wenn wir unser Bildungssystem wirklich innovativ aufstellen wollen.
(Wird noch mit Feedback der Teilnehmer überarbeitet)