bookmark_borderThese: Im (Twitter-) Lehrerzimmer braucht es mehr Medienkompetenz

Wenn man die Diskussion über provokante Artikel im Twitterlehrerzimmer (#twlz) verfolgt, so kann man sich des Gedankens nicht erwehren, dass wesentliche Prinzipien der Medienlandschaft, in der wir uns inzwischen befinden, bestenfalls ignoriert werden, schlimmstenfalls nicht erkannt.

Eine Journalistin des Tagesspiegels schrieb einen Artikel, der Lehrerinnen und Lehrern implizit Faulheit und fehlendes Berufsethos unterstellte. Es war offensichtlich, dass dieser Artikel auf Reichweite ausgelegt war. Warum war das so? Die provokante These war noch vor der Paywall und damit für alle lesbar, und der Zeitpunkt der Veröffentlichung perfekt gewählt: Alle Lehrerinnen und Lehrer haben in den Weihnachtsferien Zeit, sich darüber aufzuregen, und sind dazu einfach auch müde und nervlich belastet durch die Corona-Situation. Und so kam es dann auch: Es entwickelte sich eine Empörungswelle von Lehrerinnen und Lehrern auf Twitter. Teils wurde sehr sachlich eine Gegenposition formuliert, teils heftig ad hominem angegriffen, was die Autorin dazu veranlasste, sämtliche Kritik zu verwerfen und nur eine einzige Gegendarstellung als legitim zu bewerten.

Mich ärgerte an dem ganzen Prozess vor allem, dass diese einfache Methode zur Erzielung von Aufmerksamkeit immer noch wirkt (vermutlich erwarte ich ein zu schnelles gesellschaftliches Lernen, mea culpa). Dies versuchte ich in einen Tweet zu fassen.

Was noch spannender war: In der Folge fühlten sich einige Protagonisten des Twitterlehrerzimmers anscheinend angegriffen, weil ich darauf hinwies, dass mit dem Reagieren die Verbreitung solcher Artikel erst richtig gelingt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine der Reaktionen wirklich gelesen, nur die Stimmung im #twlz wahrgenommen. Diese Protagonisten nahmen für sich in Anspruch, in ihrer Rolle als Blogger oder öffentlichkeitswirksame Influencer eine Gegenposition zu schreiben, weil diese Position viele Menschen teilten und dies eben das sei, was sie täten.

Das dürfen sie. Und gleichzeitig darf ich darauf hinweisen, dass manche Influencer Empörungswellen gezielt für ihre Zwecke zu nutzen wissen, bzw. diese gezielt anfeuern, um Reichweite zu erzielen. Dies klar zu benennen ist nicht populär, und natürlich kann man mir ebenfalls vorwerfen, über diese Art der Metakritik nur für Aufmerksamkeit sorgen zu wollen, weil ich ja ebenfalls in Social Media präsent bin (zur Stunde habe ich seit dem Tweet eher Follower verloren, was mir herzlich egal ist).

Für mich ist Social Media (konkret: Twitter) ein fantastisches Vernetzungsinstrument, mit Inspiration (weit über den Schulbereich hinaus). Für andere wiederum ist es eine Erweiterung des Lehrerzimmers mit allen positiven und negativen Effekten. Wieder anderen dient es als Geschäftsmodell bzw. zur bloßen Selbstdarstellung. Natürlich sind diese Erscheinungsformen nicht trennscharf.

Diese verschiedenen Erscheinungsformen und Hauptzwecke unterscheiden zu lernen, und zwar im Zweifel nicht von Person zu Person, sondern von Tweet zu Tweet, darin sehe ich ich die notwendige Medienkompetenz – im Twitterlehrerzimmer, aber auch darüber hinaus.

bookmark_borderSession zum Fach „Mensch und Medien“ beim Barcamp Bad Wildbad (Juni 2019)

Das Land Baden-Württemberg tut was für innovative Menschen im Bildungssystem. Im halbjährlichen Takt wird an der Landesakademie Bad Wildbad ein Barcamp angeboten, zu dem namhafte Referenten eingeladen werden (dieses Mal Philippe Wampfler und Marina Weisband). Das nächste Barcamp findet übrigens am 13.-15.12.2019 statt, wer es sich vormerken möchte.

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Darstellung von Wibke Tiedmann

Die Nachlese ist bei Twitter unter #wildcampen19 möglich, aber auch über ein Padlet.

 

Unser Beitrag war dieses Mal die Vorstellung unseres Profilfachs „Mensch und Medien„, 2004 als Profilfach eingeführt (mit vom Kultusministerium genehmigten Bildungsplan) und als Alternativangebot zu Naturwissenschaft und Technik (NwT) gedacht. Der Bildungsplan und weitere Infos sind unter der Verlinkung oben abrufbar. Ein Profilfach ist prinzipiell ein Fach, das nicht von allen Schülerinnen und Schülern gewählt wird, sondern als Vertiefung angeboten wird, bei uns mit je 3 Std. wöchentlich in den Klassen 7-10.

 

Das Fach Mensch und Medien

Das Fach ist so aufgebaut, dass in jeder Klassenstufe 5 Dimensionen zum Tragen kommen:

  1. Technik
  2. Hören und hörbar machen (Radio, Hörspiel, Podcast)
  3. Sehen und sichtbar machen: Video und Bild
  4. Text und Layout
  5. Kommunikation
  6. In Klasse 10 zusätzlich: Vernetztes Arbeiten und Anwenden

2004 waren die klassischen Massenmedien natürlich auch hauptsächlicher Teil des Medienbegriffs, es gab noch kein Facebook und kein iPhone. Im Laufe der Zeit wurde das Curriculum daher auch immer weiter ergänzt bzw. erneuert und immer mit aktuellen Beispielen verknüpft. Phänomene wie die Böhmermann-Affäre, Social Bots, Echokammer, Fake News, Cyberüberwachung, KI, Cyber-Mobbing oder Memes werden tagesaktuell eingebaut.

Folgender Absatz sinngemäß aus einer Beschreibung eines Kollegen: Da es aber auch das Ziel des Fachs ist, die „Schülerpersönlichkeit so zu stärken, dass daraus eine intelligente Nutzung der Medien zum Wohle der Menschen und in Verantwortung für unsere Welt wahrgenommen werden kann“, kann es auch das Gebot sein, eben nicht immer am Puls der Zeit zu sein, sondern manchmal einfach auch ganz althergebracht Recherche zu erlernen, um Fake News zu erkennen und selbst keine zu produzieren; Memes in einen größeren kulturgeschichtlichen Rahmen (Emblemata) einzuordnen und sie dann bewusst (!) mit eigenen Bildern oder Videos einzusetzen; die realen zerstörerischen Auswirkungen des Cybermobbing darzulegen und eine echte Auseinandersetzung damit zu führen – Beziehungsarbeit kommt vor Technologie.

 

Was müssen alle wissen, was leistet das Profil?

Wir kamen im Rahmen unseres Projekts „Zeitgemäß Lernen“, das das Lernen und die Unterrichtsentwicklung in Zeiten der Kultur der Digitalität in den Blick nimmt, an den Punkt die Frage zu stellen, bis zu welchem Grad die Inhalte und Methoden unseres Profilfachs für alle Schülerinnen und Schüler relevant geworden sind und worin die Neuausrichtung dieses Fachs dann besteht.

 

Ergebnisse der Session

In der Session beim Barcamp in Bad Wildbad kamen auf dieser Basis folgende Fragen und Ideen auf (unsortiert):

  • Könnte es ein neues Ziel des Fachs sein, die Kultur der Digitalität wirklich zu durchdringen und dann mithilfe von Zertifikaten Medienscouts auszubilden, die in die Schule hineinwirken?
  • Professionalisierungsgrad neu denken: Wenn die Qualität einer Video/Ton/Bild-Aufnahme nicht mehr das entscheidende Kriterium in der vernetzten Welt ist, sondern die Verbreitung/Vernetzung, sind dann diese alten Ansprüche an Videoschnitt etc. noch notwendig?
  • Könnte es sinnvoll sein, auch in der Produktion einen Vergleich vorzunehmen zwischen den beiden Paradigmen: Video für das TV vs. Video für das Netz?
  • Welche Rolle spielen bisher implizite vs. explizite Kommunikation in sozialen Netzwerken wie Instagram oder bei Snapchat (Stichworte: Codierungen in Bildern, Ghosting uvm.)
  • Sollte man die Erstellung einer Internetseite noch erlernen? Oder ist diese Fähigkeit inzwischen weitgehend irrelevant für die Zielsetzungen des Fachs?
  • Wie kann die Öffnung in Richtung Kommune, aber auch global (vgl. Keynote von Marina Weisband) besser gelingen? Dieses Fach hätte die zeitlichen Ressourcen dafür.
  • Wie viel Arbeit noch mit Texten in einer „Post-Text-Gesellschaft“?
  • Welche Rolle können die Schülerinnen und Schüler in der Professionalisierung dieses Fachs spielen? Wie erfolgt die Verknüpfung von aktuellem technischen Know-How (eher Schülerinnen und Schüler) und der reflexiven bzw. historischen Ebene (eher Lehrerinnen und Lehrer)?

 

Vielen Dank an die Teilnehmer der Session, vor allem an Adriane.