bookmark_borderWas Lehrerinnen und Lehrer leisten

Als Schulleiter sieht man die Arbeit, die Lehrerinnen und Lehrer generell, aber besonders in dieser Krisensituation aktuell, leisten, vielleicht mit anderen Augen, als wenn man Teil des Kollegiums ist. Man weiß um die Stärken und Schwächen der Menschen, man erhält oft sehr direkt externes Feedback zur Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer, und mit mildem Blick sieht man doch jederzeit den Beitrag, den jeder Einzelne zum Gelingen des Lernens an der Schule beiträgt und beitragen kann, gerade durch die unterschiedlichen Ansätze. Eine kleine Chronologie als Einblick.

September 2020

Es wird eine neue Plattform an unserer Schule fest eingeführt. Alle Kolleginnen und Kollegen bilden sich für IServ fort: Didaktik des Fernunterrichts, Videokonferenzen kreativ gestalten, Chat, Aufgabenmodul. Das Kollegium beschließt Mindeststandards für den Fernunterricht und macht diese gegenüber Eltern und Schülerinnen und Schülern transparent. Für diese Arbeit kommen fast ausschließlich private Arbeitsgeräte zum Einsatz.

In den kommenden Wochen machen alle Lehrkräfte ihre Arbeit im Präsenzunterricht, obwohl kaum für zusätzliche Sicherheit gesorgt werden konnte. Zu Beginn gilt in Baden-Württemberg die sogenannte „Kohorten-Regelung“, das bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer keine Maske tragen. Die Maskenpflicht wird einige Wochen später eingeführt. Zusammen mit den Klassen etablieren die Lehrkräfte ein „Lüftungsregime“ (alle 20 min für 3-5 min lüften).

Für die Ausstattung der Schülerinnen und Schüler im Falle eine Lockdowns bestellt die Schule Laptops und Tablets (bei uns insgesamt 78 Geräte, später nochmal 48). Diese Geräte müssen bestellt, eingerichtet und inventarisiert werden, dazu braucht es Leihverträge.

Oktober 2020

Zwei Pädagogische Tage zum Lernen in der „Kultur der Digitalität“, unter anderem mit Axel Krommer als Referent. Die Kollegien am Bildungszentrum arbeiten einen Tag in Präsenz, und am zweiten Tag wird die Technik der Plattform auf Herz und Nieren geprüft, in dem die Kollegien kollaborativ online diskutieren und weiterentwickeln. Parallel dazu (und damit sehr stressig) findet eine Art Test-Lockdown statt: Gemeinsamer Start mit den Schülerinnen und Schülern am Morgen, Aufgaben über die Plattform.

Dezember 2020

Vor Weihnachten deutet sich an, dass die Politik der reinen Präsenz der Kultusministerien an ihre Grenzen stößt. Die Schulen wurden auf den nächsten Lockdown in öffentlichen Aussagen nicht vorbereitet. Wer ein bisschen mitdenken kann, der wusste natürlich, dass dies so nicht gutgehen kann. Die Kolleginnen und Kollegen erhalten also noch vor Weihnachten von uns die Info, sich auf Fernunterricht vorzubereiten, damit wir anschließend direkt weiterarbeiten können.

Die Öffentlichkeitsarbeit wird völlig neu aufgestellt. Es braucht Filme, Erklärvideos und -texte, eine virtuelle Schulhaustour, eine neue Powerpoint-Präsentation, ein Team für den digitalen Infonachmittag, der dann gleich 3x angeboten und durch Schülerinnen und Schüler sowie Eltern unterstützt wird.

Januar 2021

Der Fernunterricht beginnt mit einem GAU: Die Plattform IServ bricht – wie viele andere auch – in den ersten 2 Tagen fast völlig zusammen, der Server wird überrannt. Es braucht Überwindung von Frust, Gelassenheit im Umgang mit den technischen Schwierigkeiten und den Optimismus, dass wir das hinbekommen werden. Die Schülerinnen und Schüler müssen bei der Stange gehalten werden. Am Ende der zweiten Woche haben sich Routinen gebildet, die sich an den Mindeststandards, die zu Beginn des Schuljahres verabschiedet wurden, orientieren. Es läuft. Die Elternrückmeldungen sind mit überwältigender Mehrheit positiv, die Arbeit im Vorfeld hat sich gelohnt.

Parallel zum Fernunterricht muss die Notbetreuung für die Klassen 1-7 zeitlich mit abgedeckt werden. Dankenswerterweise helfen weitere pädagogische Fachkräfte mit, so dass die Lehrkräfte dies nicht alleine stemmen müssen.

Eine Gruppe arbeitet quasi nebenbei seit Beginn des Schuljahres an dem für den Abruf der Gelder aus dem Digitalpakt vorgeschriebenen Medienentwicklungsplan (MEP). Dafür braucht es Erhebungen, Statistiken, Konzepte und Sitzfleisch.

März 2021

Je länger die Krise dauert, desto wichtiger wird die Aufgabe, Schülerinnen und Schüler zu begleiten und aufzufangen. Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer führen stundenlange Gespräche per Video oder Telefon, kümmern sich auch persönlich um die Kinder, die in die (erweiterte) Notbetreuung kommen. Ab Anfang März werden dann die 5. und 6. Klassen in die Vollpräsenz zurückgeholt (die J1 und die J2 sind bereits im Wechsel in Präsenz), es soll aber auf Abstand geachtet werden. Die Klassen müssen auf zwei Räume verteilt werden. Es entstehen 8 Gruppen, für die 4 Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Es braucht zusätzliche „Springer“, um die bislang unbetreuten Gruppen mit zu beaufsichtigen. Neben den Fernunterricht tritt jetzt also der Präsenzunterricht, die Notbetreuung und auch noch die Springertätigkeit.

Im gleichen Monat findet ein digitales Forum Schulentwicklung mit Eltern und Schülerinnen und Schülern statt, in dem die Frage gestellt wird, was wir aus der Lockdown-Situation für die Entwicklung der Schule lernen können. Verschiedene Entwicklungslinien werden aufgezeigt, unter anderem die Frage einer Hybridisierung von Schule nach der Krise.

Noch vor den Osterferien organisieren fast alle Schulen in Deutschland ihre ersten Probetestungen. Fast alle Kolleginnen und Kollegen lassen sich ohne Murren fortbilden für die Begleitung der Corona-Selbsttests durch Schülerinnen und Schüler nach den Ferien. Eine Kollegin erstellt nicht nur das Testkonzept, sondern den gesamten Ablaufplan und den Fortbildungsmarathon.

Ein Ergebnis des oben genannten „Forum Schulentwicklung“ ist der Wunsch der Elternschaft, Gemeinschaft wieder zu spüren. Die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer der 5. und 6. Klassen organisieren eine Wanderung zu einem nahegelegenen Berg mit Kreuzweg bei idealen Wetterbedingungen. Außerdem erhält jeder Schüler und jede Schülerin der Schule eine persönlich geschriebene Oster-Karte durch die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer.

Das Kollegium trifft sich außerdem in einem Schulentwicklungsteam, um die freien Arbeitsformen an der Schule weiterzuentwickeln, und zwar 16 von 37 Kolleginnen und Kollegen. Freiwillig. An einem Freitag Nachmittag. Per Video.

Ausblick

Nach den Osterferien werden die ersten Dienstgeräte eintrudeln. Dafür braucht es Fortbildungen, die einige Lehrkräfte anbieten und alle anderen besuchen, um die Datenschutzvorschriften einzuhalten und die korrekte Bedienung sicherzustellen. In den nächsten Monaten wird sich die Hardware in den Klassenzimmern bedingt durch den Digitalpakt deutlich verändern.

Wir wissen, dass Schülerinnen und Schüler am Gymnasium, die in die Präsenz zurückkehren, nur zu einem geringeren Anteil fachliche Defizite aus der Phase des Lockdowns mitbringen werden. Aber die sozial-emotionalen Defizite werden spürbar sein. Dafür braucht es Konzepte, Personal, Kraft.

Vielleicht als kurzes Fazit: Die Osterferien und die damit einhergehende Ruhe sind mehr als verdient.

bookmark_borderWas mir als Lehrer wichtig ist (April 2018)

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Über die letzten 10 Jahre haben sich einige Prinzipien herausgebildet, die mir wichtig sind. Ich bin Lehrer, weil ich Schülerinnen und Schüler befähigen möchte, selbstständig Entscheidungen für ihr Leben zu treffen und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen (auch im Sinne der Gestaltung der Gesellschaft). Ich möchte Lust machen auf die lebenslange Neugier, genannt das Lernen. Ich versuche möglichst oft aus diesen Floskeln Konkretes werden zu lassen.

(Diese Liste ist unsortiert, offen und wird bestimmt regelmäßig aktualisiert)

  1. Als Lehrer bin ich Vorbild für meine Zielsetzungen: Ich bin neugierig, gehe offen mit Nicht-Wissen um, gestehe Fehler ein, hole mir Feedback und hinterfrage mich selbst. Ich versuche, diese Entwicklungsbereitschaft in jede Stunde einfließen zu lassen. Es gelingt nicht immer.
  2. Fehler sind Lernanlässe: Es wird nicht akzeptiert, dass über Fehler der Mitschülerinnen und Mitschüler gelacht wird. Manchmal danke ich für bestimmte Fehler.
  3. Im Klassenzimmer herrscht eine konstruktive Feedbackkultur. Jede Leistung (auch meine eigene) muss sich einem kritisch-konstruktiven Feedback stellen, wobei die „Schatzsuche“ nach guten Aspekten immer am Beginn steht und die Kritik nur in Form von konkreten Verbesserungsvorschlägen geäußert wird.
  4. Unterrichtsplanung muss aus der Schülerperspektive erfolgen: Hätte ich als Schüler oder Schülerin selbst Lust darauf? Was würde mir daran Freude bereiten? Warum genau muss ich Notwendiges (und damit ggf. Langweiliges) machen? Was ist der Nutzen? Was hat der Inhalt mit meinem Leben zu tun?
  5. Jede Stunde muss sich der „so what?“-Frage stellen: Was soll das Ganze? Wofür ist das wichtig? Der Verweis auf den Bildungsplan reicht nicht.
  6. Beteiligung der Schülerinnen und Schüler bei der Themen- und ggf. sogar Methodenwahl ist unerlässlich. Das motiviert und ist gelebte Demokratie.
  7. Der Unterricht kann daher auch nicht Wochen im Voraus geplant werden, weil ich (noch) nicht weiß, wo wir vertiefen bzw. was noch gelernt werden muss und will.
  8. Der Bildungsplan ist wichtig und interpretierbar.
  9. Projekt- und produktbezogener Unterricht kann Kräfte in Schülerinnen und Schülern freisetzen, die jedes Mal begeistern.
  10. Die Leistungsbewertung ist nicht alleine Sache des Lehrers bzw. der Lehrerin: Es braucht immer eine Form der kriteriengestützten Selbstreflexion. Das Eigenurteil der Schülerinnen und Schüler hat eine Bedeutung und ist Teil der Besprechung der Noten.
  11. Zur Leistungsbewertung wird nicht allein das Ergebnis herangezogen, sondern ebenso (wo möglich) der Prozess dorthin.
  12. Wenn ich Schülerinnen und Schüler ernst nehme, dann vertraue ich ihnen: Sie brauchen daher nicht zu fragen, ob sie aufs Klo gehen dürfen; wenn sie zu spät kommen, gehe ich davon aus, dass sie einen guten Grund haben (den sie mir gerne am Ende der Stunde nennen dürfen, wenn sie das Bedürfnis haben).
  13. Wer die Hausaufgaben nicht hat, hat die Entscheidung für etwas anderes getroffen. Das ist grundsätzlich in Ordnung und hat keine disziplinarischen Folgen (allerdings ggf. sehr wohl für die kommende Klausur, weil die Übung fehlt). In der Zeit der Hausaufgabenbesprechung profitiert der- oder diejenige nicht von der Arbeit, verlässt das Klassenzimmer und holt die Arbeit dort nach und kann die Ergebnisse später vergleichen.
  14. Ich setze Signale, dass sich Anstrengung lohnt: Der Notenschnitt einer Arbeit wird grundsätzlich zweimal an die Tafel geschrieben; der Schnitt derjenigen, die freiwillig einen Text eingereicht haben oder sich anderweitig Feedback geholt haben, und der Schnitt der anderen.
  15. Ich bin grundsätzlich gut über verschiedene Kanäle erreichbar und helfe gerne. Am Wochenende und über manche Ferien habe ich auch einmal Kontaktpause. Auch das sollen Schülerinnen und Schüler lernen und für sich adaptieren.
  16. Ohne ein grundlegendes Verständnis über den Digitalisierungsprozess kann ich heutzutage nicht Gesellschaft verstehen und gestalten. Daher kommt dieser Themenkomplex in seinen Facetten häufig als Beispiel vor. Bis zu welchem Grad Programmierkenntnisse Voraussetzung dafür sind, darüber bin ich mir noch unschlüssig.
  17. Ich bin mir bewusst, dass sich meine Rolle als Lehrer derzeit radikal ändert: Vom Wissensvermittler hin zum Lerncoach, Vorbild als Lerner und Organisator von selbstbestimmten Lernprozessen. Als reinen „Lernbegleiter“ sehe ich mich derzeit nicht, dieses Bild vom Lehrer ist mir zu passiv.
  18. Ich bin überzeugt, dass Wissen als Orientierungswissen weiter eine große Rolle spielt, um selbstständig weiter zu lernen. Z. B. sind Fake News ohne Wissen gar nicht identifizierbar; ich fange gar nicht erst an zu recherchieren, wenn mir nichts komisch vorkommt.
  19. Schule ist zu oft defizitorientiert. Ich korrigiere immer auch in grün, um Positives hervorzuheben. Unsere Schülerinnen und Schüler können so viel; dies zu sehen stärkt sie.

(to be continued)