bookmark_borderZeigt die Tagung „Mobile Schule 2023“, dass wir Schule fit für die Zukunft machen werden?

Hannover, 4.-5. September 2023. Die Sonne scheint, die Halle des HCC ist gut gefüllt mit Ständen wie bei der Didacta oder der Learntec (etwas ausgewählter allerdings). Außen herum sind aufblasbare Boxen für die Workshops (die mit ihrer Ausleuchtung ein wenig an die Allianz-Arena erinnern), es gibt Ohrhörer, Sender und Empfänger für die lauten Bereiche, um für die Inhalte dem Messetrubel zu entkommen. Laut Veranstalter sollten sich hier 1000 Menschen begegnen.

Was fällt auf? Es sind viele Trägervertretungen unterwegs, zudem Menschen mit internationalem Hintergrund, die das Interesse haben, etwas für das deutsche Schulsystem zu tun, vielleicht: etwas zurückzugeben. Die Stimmung ist wohlwollend, konstruktiv, und man kann bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Workshops mehr Wissen und Fähigkeiten voraussetzen.

KI überall

Wo man auch hinschaut: Das Thema Künstliche Intelligenz spielt fast überall eine Rolle:

  • KI in der beruflichen Bildung
  • Wie werden SuS KI-kompetent?
  • KI-Werkstatt
  • KI im Gesellschaftsunterricht
  • Deutsche Bildungslandschaft: Von Standardisierung bis KI
  • KI – was nun passieren muss
  • Kann KI den Planeten retten? BNE mit dem KI-Campus
  • Alternative, digitale Prüfungen mit KI
  • usw.

Wieder einmal wird die Revolution von Schule ausgerufen, könnte man meinen. Aber dem ist nicht so. Alle beäugen neugierig, wissen noch nicht so recht, tasten sich heran. Informatiker, die an Schulen arbeiten, erzählen beim Tagungsfest am Abend inoffiziell, dass sie bleich wurden, als sie zum ersten Mal ChatGPT nutzten, und danach hätten sie 3 Tage nichts anderes gemacht als mit Prompts zu versuchen, die Fähigkeiten dieser KI auszutesten. Mich beunruhigt es, oder zumindest beschäftigt es mich, wenn selbst ausgewiesene Experten feststellen, dass sie mit der Entwicklung nicht Schritt halten können.

Need for speed?

Wie soll Schule da mithalten? Muss sie das überhaupt? Antworten liefern vielleicht Strukturen wie die Erfahrungen von Thomas Lange aus 30 Jahren in England, wo er als Head of Digital zahlreiche Schulen durch die englischen Digitalpakt-Verfahren gelotst hat. Seine Pedtech-Map, inklusive Analyse der nächsten ToDos, mag Schulen vielleicht ein wenig bei der Gestaltung der Hardware und beim Fitmachen der Kollegien für die technischen Erfordernisse helfen.

Dazu kommen noch Schulentwicklungsstrukturen, die die Offenheit besitzen, neue Entwicklungen konstruktiv aufzugreifen und positiv anzugehen. Oder, um es in den Worten der Engländer zu sagen:

Experience is what you get when you don‘t get what you want.

Die Workshops zu agiler Unterrichtsentwicklung (z. B. von Niels Winkelmann oder Ruth Stocker) waren sehr gut besucht. Mein eigener Beitrag bestand darin, Elemente „brauchbarer Illegalität“ beim Handeln auf Schulebene herauszuarbeiten, um bei (zu) langsamer Kultusverwaltung als Schule trotzdem den Anforderungen der heutigen Zeit gerecht werden zu können, durch die Ausweitung der Grauzone und das Austesten kreativer Lösungen.

Unternehmen sind weiter

Wenig überraschend sind Unternehmen in der Nutzung adaptiver Lernsysteme weiter als die Schulen. Sicher stellen diese nicht die Revolution von Schule dar, aber sie versetzen vielleicht Lehrkräfte in die Lage, die wirklich wichtigen Aufgaben von Schule stärker in den Blick zu nehmen, weil diese nicht mehr endlos Zeit für die Korrektur und Begleitung des Aufbaus von Basiswissen und Basiskompetenzen benötigen. Ein spannendes System ist dabei „Area 9 Lyceum“, ein System, dem für den schulischen Einsatz noch der Content fehlt. Die Zusammenarbeit zwischen innovativer Tech-Branche und den traditionellen Content-Lieferanten (auch im Sinne von didaktisch gut aufbereitetem Material) scheitert oft noch. Dieses System basiert prinzipiell auf Fadels „Vier Dimensionen der Bildung“. Fadel sitzt auch selbst im Advisory Board. Wenn ich das richtig verstanden habe, gelingt es dem Algorithmus (eine Form der gezielt begrenzten KI für bessere Ergebnisse), Lernpfade zu verknüpfen, was gegenüber anderen adaptiven Lernsystemen (zum Beispiel im Bereich Mathematik), die hauptsächlich einen linearen Lernweg verfolgten, ein Durchbruch sei.

Wer ist mutig?

Manchmal möchte ich wissen, was möglich wäre, wenn ein technisches System zum adaptiven Lernen sich durchsetzte, die Verlage mit ihrem guten Content andocken könnten, Schulen vom Ballast der Vermittlung und Testung von Basiswissen vielleicht nicht ganz befreit würden, aber dennoch etwas entlastet. Und dann könnten Lehrkräfte auf dieser Basis mit Schülerinnen und Schülern spannende, kreative Projekte angehen, die die 21st century skills fördern, sie könnten Erlebnisse schaffen, Orientierung geben, begleiten, Lust machen auf Lernen, und so viel mehr von dem, für das wir Lehrkräfte geworden sind. Mit, aber auch ohne Technik. Weil es um die Menschen geht.

Was bleibt also?

Ja, was bleibt also von dieser Tagung Mobile Schule 2023? Ein fantastisches, zugewandtes Orga-Team, das alle Voraussetzungen dafür schafft, dass sich Menschen aus Kultusverwaltungen, Tech-Branche, Verlagen, Wissenschaft und Praxis begegnen können. Die Hoffnung, dass es in diesem Land ausreichend Menschen gibt, die nicht erstarren, wenn neue Entwicklungen wahrgenommen und gestaltet werden wollen. Die Gewissheit, dass sich Schule (in Deutschland) nur sehr langsam bewegen wird, aber dass es schon jetzt ausreichend Mutige gibt, die losgelaufen sind. Das gibt mir Kraft.

(Kleine Anekdote am Rande: Auf dem Rückweg des Empfangs am Vorabend zur Tagung kamen wir an diesem „abgestürzten“ Werbeschild vorbei, Bios-Version 1997-2000)

bookmark_borderMenschen begleiten und Lernen ermöglichen – was Lehrkräfte und Schulleitungen verbindet

Wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde, dann sage ich seit 3 Jahren nicht mehr: „Lehrer“, sondern „Schulleiter.“ In den ersten zwei Jahren, die vom Pandemie-Management geprägt waren, hatte ich kaum die Gelegenheit, darüber nachzudenken, was mir an diesem Job gefällt. Aber ich wusste, dass es prinzipiell der richtige Schritt für mich war.

Oftmals bekomme ich, wenn ich die Frage nach meinem Beruf beantwortet habe, die Antwort: Das könnte/wollte ich nicht. Oder: Das wäre mir zu viel Verantwortung. Tatsächlich ist es eher genau diese, die diese Aufgabe so anstrengend macht – gepaart mit den zahlreichen Entscheidungen auf den unterschiedlichsten Feldern, oft dazu noch geballt und gleichzeitig. Ich tracke meinen Zeiteinsatz – der zwar phasenweise extrem hoch, im Schnitt aber nicht das Problem ist.

Kollegiale Leitung

Was mir unter anderem an diesem Job gefällt ist die Möglichkeit zu gestalten. Das würden wohl die meisten Schulleitungen unterschreiben. Ich habe selbst meist sehr gut funktionierende Team-Strukturen auf Leitungsebene erleben dürfen, als Lehrer und als Abteilungsleiter, und habe erfahren dürfen, dass kollegiale Leitung, gepaart mit Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeitenden, Freiräume gegeben und Kräfte freigesetzt haben, von denen ich sehr stark profitieren durfte.

Diese Strukturen darf ich nun selbst gestalten. Natürlich haben wir daher ein Leitungsteam, bestehend aus 4 Personen: Schulleitung, stellvertretende Schulleitung, Abteilungsleitung, Rektoratsassistenz; und dazu kommt noch ein sehr kompetentes und herzliches Sekretariat. Ohne diese vier anderen Menschen würde die Schule nicht so gut laufen. Sie organisieren, haben mit im Blick, kritisieren und hinterfragen, und entwickeln Ideen. Und mit ihren Talenten ermöglichen Sie es mir, meine Stärken auszuspielen. Ich bin eben nicht nur Verwalter, ich darf Gestalter sein.

… und Entscheider sein

Trotzdem habe ich in den letzten Jahren auch weiter gelernt, wann es darauf ankommt, selbst zu entscheiden und dafür auch gerade zu stehen. Sehr geholfen haben mir zu Beginn die Delegationsstufen in der Darstellung von Bernd Oesterreich und Claudia Schröder (kollegiale-fuehrung.de), auf die mich Wibke Tiedmann gebracht hat. Für viele Bereich kann man so im Vorhinein festlegen, wie die Entscheidung fallen sollte, welche Kreise es dafür braucht.

Menschen begleiten – Lernen ermöglichen

Gestalten, im Team arbeiten und Entscheidungen treffen sind interessante und wichtige Bereiche von Führung. Aber am meisten Freude bereitet mir wohl etwas, das ich auch schon als Lehrer für meine Arbeit im Fokus hatte: Menschen in ihrer Entwicklung zu begleiten. Schülerinnen und Schülern, die eigenständig lernen wollen, gebe ich im Unterricht gerne die Gelegenheit dazu, versuche Freiräume zu schaffen, und kann mich daher auch für freie Arbeitsformen begeistern und für agile Unterrichtsstrukturen, die die Interessen der Lernenden als Ausgangspunkt haben.

Ganz ähnlich geht es mir jetzt in der Rolle als Schulleiter: Natürlich haben nicht alle Kolleginnen und Kollegen Entwicklung im Fokus – nicht für sich und nicht für die Schule. Aber viele eben schon. Und diese Menschen sollen die Gelegenheit dazu haben. Wenn jemand

  • eine Fortbildung besuchen,
  • an einer Schule hospitieren,
  • eine neue Aufgabe übernehmen,
  • eine Idee einbringen möchte…
  • (diese Liste ließe sich vermutlich ewig erweitern)

… dann soll er oder sie auch möglichst die Gelegenheit dazu erhalten. Das gilt sogar für privates Engagement, das den eigenen Horizont erweitert und am Ende auch irgendwie der Schule zugute kommt. Denn zufriedene und glückliche Mitarbeitende sind die Basis für eine gute Zusammenarbeit. Ich weiß, dass (Sonder-)Beurlaubungen in solchen Fällen als Energiebooster wieder in der Schule ankommen können.

Grenzen und eigene Begrenztheit

Und natürlich muss man als Lehrer auch immer mal wieder Grenzen setzen – damit man Reibungspunkt für die Entwicklung Jugendlicher sein kann, damit die Gemeinschaft sieht, dass nicht jedes Verhalten akzeptiert werden kann, damit auch soziales Lernen stattfinden kann.

Bei Mitarbeitenden sieht das etwas anders aus, es lassen sich jedoch auch hier Parallelen finden. Wir befinden uns in Deutschland in einem stark reglementierten (Bildungs-)System, in dem bestimmte Pflichten zu beachten sind, von Schulleitung wie von Lehrerinnen und Lehrern. Dies betrifft z. B. die Basics der gemeinsamen Arbeit: Teilnahme an Konferenzen, rechtzeitige Notenabgabe, Einhalten der Vorgaben zur Leistungsmessung, Anmeldung einer außerunterrichtlichen Veranstaltung (damit diese versichert ist), Wahrnehmung von Aufsichten, Eintragung des Unterrichtsstoffs in das Tagebuch (Klassenbuch) uvm.

Kommt ein Kollege oder eine Kollegin einer dieser Aufgaben nicht nach, so wird es schnell unangenehm (und zwar für beide Seiten), denn das Aufzeigen solcher Versäumnisse verläuft selten konfliktfrei und zieht im Zweifel auch rechtliche Konsequenzen nach sich. Gleichzeitig muss eine Leitung – genau wie eine Lehrkraft – auf eine gewisse Eigenständigkeit und Eigenverantwortung der Lehrkräfte setzen, und bei studierten Menschen darf man diese auch erwarten. Und was auch stimmt: Fehler sind menschlich und passieren – es ist der Umgang damit, den man als Leitung vorleben kann, wenn eigene Versäumnisse offengelegt werden und die Verantwortung dafür übernommen wird. Das gelingt mir sicherlich noch nicht immer perfekt.

Und trotzdem – auch diese unangenehmen Aufgaben gefallen mir an der Tätigkeit als Schulleiter. Denn am Ende geht es darum, dass wir gemeinsam Zuverlässigkeit, Freundlichkeit, Fehlerkultur, Begegnung auf Augenhöhe uvm. als Lehrkräfte oder als Leitungen vorleben, damit wir Ähnliches von Schülerinnen und Schülern überhaupt erst erwarten können.

bookmark_borderOhne Schulentwicklung keine Schule

… schrieb ich für das Mobile Schule Magazin.

Warum?

Zuhören, (re)agieren, sich hinterfragen, und das auf der Basis von Prinzipien: All das braucht eine Schule, die ernstgenommen werden will.

Hier der Link (Seite 48, ganz am Ende des Heftes)

bookmark_borderDie Unsicherheit der Lehrkräfte

Ein Besuch bei der deutschen Bildungsdirektion in Südtirol lieferte spannende Einblicke in die Reformfähigkeit des Systems Schule. Vor dem Besuch hatte ich das Bild, dass Schulen und ihre Lehrkräfte vor allem mehr Freiräume brauchen, dann kann sich sowohl die Einzelschule als auch das System als Ganzes weiterentwickeln. Dies lässt sich aus der Erfahrung in Südtirol so nicht bestätigen. Aber von Beginn an…

Rahmenbedingungen in Südtirol

In Südtirol haben Schulen eine eigene Rechtspersönlichkeit, können also sehr eigenständig handeln und ihr Budget verwalten. Ein zentralisierter Bereich ist jedoch die Personalausstattung. Hier haben die Schulen keine Autonomie. Ein Vorwurf durch die Schulleitungen ist dabei, dass diese Form der Eigenständigkeit zu hoher Verwaltungstätigkeit geführt hat. Wer sehr akribisch alle Anforderungen in diesem Bereich erfüllt, kommt als Leitung zu wenig anderem.

Inklusion ist selbstverständlich. Es gibt eine gemeinsame Schule bis zu Alter von 14 Jahren. Es wird entsprechend differenziert und mit Personal ausgestattet.

Es gibt in der Bildungsdirektion ein „Hashtag-Team“, das Diskussionen und Erkenntnisse, auch aus dem Twitterlehrerzimmer, aufbereitet und in die Fortbildungen einspeist.

Es gibt Rahmenlehrpläne, die wirklich nur einen Rahmen darstellen. Oftmals sind Begriffe wie „Klassenarbeit“, „Prüfung“ o.ä. gar nicht mehr aufgeschrieben und die Schule hat eine sehr große Gestaltungsfreiheit.

Gestaltungsfreiheit als Problem

Und jetzt kommt das Problem: Diese Freiheit schafft in der Praxis (derzeit?) in Südtirol eine große Unsicherheit. Die Freiheiten werden nicht genutzt. „Man“ hält sich auf Schulebene lieber an Althergebrachtem fest. Jetzt könnte man meinen, dass für die Veränderung die Ressourcen fehlen. Dem ist aber anscheinend nicht so. Statt dessen gibt es wohl zunehmend Anfragen aus den Schulen im Stile von: „Gibt mir Ressourcen, damit ich möglichst nichts an meinem Unterricht verändern muss.“ Die aktuellen Herausforderungen und die fehlende Passung der Unterrichtsgestaltung werden gesehen, was auch zu Überforderungserleben führt. Die Bereitschaft, etwas Grundsätzliches daran zu ändern, ist jedoch geringer ausgeprägt.

Woher kommt die Unsicherheit?

Ich habe mir die Frage gestellt, ob es dann an der Zusammensetzung der Kollegien liegt, in denen man es mehrheitlich gewohnt ist, gesagt zu bekommen, was der Rahmen des eigenen Handels ist. Und darauf wird ja auch im Alltag regelmäßig Bezug genommen:

  1. „Ich muss doch Noten machen!“
  2. „Der Bildungsplan sagt doch…“
  3. „Dafür gibt es Nachsitzen, denn §90 Schulgesetz besagt…“

Und gleichzeitig kann man Lehrkräften in dieser Hinsicht vermutlich gar keinen Vorwurf machen. Denn auch Eltern sind strukturkonservativ, erwarten von Schulen, vor allem an den Gymnasien mit dem entsprechenden fachlichen Anspruch, das Arbeiten in bereits bekannten Strukturen. Das Gymnasium lief so gut für sie, hat sie gut auf das Leben vorbereitet. Ihren Kindern kann es also nicht schaden.

Visionen für das System Schule

Einmal mehr frage ich mich: Was braucht es also, um das System Schule wirklich weiterzuentwickeln? Vielleicht muss der Mut zu Veränderung wirklich vorgelebt werden, von den Kultusverwaltungen ausgehend, nicht die Angst vor Anpassungen, vor Reaktionen auf das echte Leben. Dafür braucht es eine gemeinsame Grundhaltung, dass das System, ebenso wie seine Akteure, dauerhaft lernbereit sein muss, um erfolgreich zu sein. Wo – außer in anderen Ländern – kann man Ansätze dazu sehen? Ich hoffe auf Antworten bei der Konferenz Bildung Digitalisierung 2022.

bookmark_borderWie sich Schule wandeln könnte I: Sprachenlernen

Aktuell lerne ich eine Sprache in einer Online-Schule. Ich habe jeden Tag eine Lektion, muss 1x pro Woche ein Video aufnehmen und habe alle 7 Tage 50 min Konversation per Videokonferenz. Dazu gibt es eine Vokabel-App. Ein Bekannter, der mir den Tipp zu dieser Online-Schule gab, berichtete, sich innerhalb von 3 Monaten vom Level A1 auf A2 verbessert zu haben. Die Sprachschule kostet ca. 120,- im Monat, was natürlich nicht wenig ist, aber zu den Kosten später mehr.

Nun ein kleines Gedankenexperiment, das mit Feedback zu meinem Tweet startete. Dieser wurde als Marktdenken aufgefasst und dafür kritisiert. Dabei ging es mir darum gar nicht, wohl aber um die Frage der Qualität der Bildungsangebote.

Sprachenlernen in der Schule

Nehmen wir mal das Beispiel des Französisch-Unterrichts in der Schule (hier könnte auch Englisch, Italienisch, Chinesisch… stehen). Die Kopfpauschale, die den privaten Schulen für Personalkosten zur Verfügung stehen, gibt einen Hinweis darauf, wieviel das Bildungsangebot Sprachunterricht kostet. Gehen wir mal von ca. 6500,- pro Lernendem pro Schuljahr aus. Im G8 gibt es pro Schuljahr ca. 35 Unterrichtsstunden, macht ca. 185,- pro Jahres-Unterrichtsstunde. Für ein 3-4-stündiges Fach stünden demnach ca. 550-750 Euro pro Schuljahr zur Verfügung.

Bildungsgutscheine für Sprachenlernen?

Es ging mir im Ausgangstweet darum, Möglichkeiten zu eruieren, wie das Schulsystem dazu gebracht werden könnte, sich zu bewegen. Eine Variante könnte ja sein, die zu erreichenden sprachlichen Standards festzulegen (bspw. das Niveau B1 am Ende der Mittelstufe), den Weg dorthin aber zu öffnen. So könnte man Bildungsgutscheine (in Höhe von 550-750 Euro) ausgeben, die es den Lernenden ermöglicht, sich ihr eigenes Bildungsangebot zu suchen, das nicht teurer sein darf als das schulische Angebot. So könnte sich jemand entscheiden, den Schultag von Französisch zu entlasten und stattdessen einen Ferienkurs, Abendkurs oder Online-Kurs zu belegen, inklusive Zertifikat am Ende (hier z. B. DELF o.ä.).

Dies könnte die Motivation erhöhen, ein Fach zu „belegen“, das mir nicht liegt, oder aber auch eine Diversifizierung ermöglichen. Eine kleine Schule bietet nur eine zweite Fremdsprache an, belegbar sind aber über die Gutscheine 5-6 verschiedene, z. B. an der VHS oder einem Online-Angebot. Und vielleicht ist ja das schulische Angebot am Ende das interessanteste, und ich habe mich bewusst dafür entschieden…

bookmark_borderCorona-Aufholprogramme sind zu unflexibel

Für das Deutsche Schulportal schrieb ich zur Effektivität der zahlreichen Corona-Aufholprogramme. Kurzfassung: Zu wenig, zu unflexibel:

https://deutsches-schulportal.de/expertenstimmen/warum-corona-aufholprogramme-kaum-wirkung-entfalten-koennen/

bookmark_borderWas Lehrerinnen und Lehrer leisten

Als Schulleiter sieht man die Arbeit, die Lehrerinnen und Lehrer generell, aber besonders in dieser Krisensituation aktuell, leisten, vielleicht mit anderen Augen, als wenn man Teil des Kollegiums ist. Man weiß um die Stärken und Schwächen der Menschen, man erhält oft sehr direkt externes Feedback zur Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer, und mit mildem Blick sieht man doch jederzeit den Beitrag, den jeder Einzelne zum Gelingen des Lernens an der Schule beiträgt und beitragen kann, gerade durch die unterschiedlichen Ansätze. Eine kleine Chronologie als Einblick.

September 2020

Es wird eine neue Plattform an unserer Schule fest eingeführt. Alle Kolleginnen und Kollegen bilden sich für IServ fort: Didaktik des Fernunterrichts, Videokonferenzen kreativ gestalten, Chat, Aufgabenmodul. Das Kollegium beschließt Mindeststandards für den Fernunterricht und macht diese gegenüber Eltern und Schülerinnen und Schülern transparent. Für diese Arbeit kommen fast ausschließlich private Arbeitsgeräte zum Einsatz.

In den kommenden Wochen machen alle Lehrkräfte ihre Arbeit im Präsenzunterricht, obwohl kaum für zusätzliche Sicherheit gesorgt werden konnte. Zu Beginn gilt in Baden-Württemberg die sogenannte „Kohorten-Regelung“, das bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer keine Maske tragen. Die Maskenpflicht wird einige Wochen später eingeführt. Zusammen mit den Klassen etablieren die Lehrkräfte ein „Lüftungsregime“ (alle 20 min für 3-5 min lüften).

Für die Ausstattung der Schülerinnen und Schüler im Falle eine Lockdowns bestellt die Schule Laptops und Tablets (bei uns insgesamt 78 Geräte, später nochmal 48). Diese Geräte müssen bestellt, eingerichtet und inventarisiert werden, dazu braucht es Leihverträge.

Oktober 2020

Zwei Pädagogische Tage zum Lernen in der „Kultur der Digitalität“, unter anderem mit Axel Krommer als Referent. Die Kollegien am Bildungszentrum arbeiten einen Tag in Präsenz, und am zweiten Tag wird die Technik der Plattform auf Herz und Nieren geprüft, in dem die Kollegien kollaborativ online diskutieren und weiterentwickeln. Parallel dazu (und damit sehr stressig) findet eine Art Test-Lockdown statt: Gemeinsamer Start mit den Schülerinnen und Schülern am Morgen, Aufgaben über die Plattform.

Dezember 2020

Vor Weihnachten deutet sich an, dass die Politik der reinen Präsenz der Kultusministerien an ihre Grenzen stößt. Die Schulen wurden auf den nächsten Lockdown in öffentlichen Aussagen nicht vorbereitet. Wer ein bisschen mitdenken kann, der wusste natürlich, dass dies so nicht gutgehen kann. Die Kolleginnen und Kollegen erhalten also noch vor Weihnachten von uns die Info, sich auf Fernunterricht vorzubereiten, damit wir anschließend direkt weiterarbeiten können.

Die Öffentlichkeitsarbeit wird völlig neu aufgestellt. Es braucht Filme, Erklärvideos und -texte, eine virtuelle Schulhaustour, eine neue Powerpoint-Präsentation, ein Team für den digitalen Infonachmittag, der dann gleich 3x angeboten und durch Schülerinnen und Schüler sowie Eltern unterstützt wird.

Januar 2021

Der Fernunterricht beginnt mit einem GAU: Die Plattform IServ bricht – wie viele andere auch – in den ersten 2 Tagen fast völlig zusammen, der Server wird überrannt. Es braucht Überwindung von Frust, Gelassenheit im Umgang mit den technischen Schwierigkeiten und den Optimismus, dass wir das hinbekommen werden. Die Schülerinnen und Schüler müssen bei der Stange gehalten werden. Am Ende der zweiten Woche haben sich Routinen gebildet, die sich an den Mindeststandards, die zu Beginn des Schuljahres verabschiedet wurden, orientieren. Es läuft. Die Elternrückmeldungen sind mit überwältigender Mehrheit positiv, die Arbeit im Vorfeld hat sich gelohnt.

Parallel zum Fernunterricht muss die Notbetreuung für die Klassen 1-7 zeitlich mit abgedeckt werden. Dankenswerterweise helfen weitere pädagogische Fachkräfte mit, so dass die Lehrkräfte dies nicht alleine stemmen müssen.

Eine Gruppe arbeitet quasi nebenbei seit Beginn des Schuljahres an dem für den Abruf der Gelder aus dem Digitalpakt vorgeschriebenen Medienentwicklungsplan (MEP). Dafür braucht es Erhebungen, Statistiken, Konzepte und Sitzfleisch.

März 2021

Je länger die Krise dauert, desto wichtiger wird die Aufgabe, Schülerinnen und Schüler zu begleiten und aufzufangen. Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer führen stundenlange Gespräche per Video oder Telefon, kümmern sich auch persönlich um die Kinder, die in die (erweiterte) Notbetreuung kommen. Ab Anfang März werden dann die 5. und 6. Klassen in die Vollpräsenz zurückgeholt (die J1 und die J2 sind bereits im Wechsel in Präsenz), es soll aber auf Abstand geachtet werden. Die Klassen müssen auf zwei Räume verteilt werden. Es entstehen 8 Gruppen, für die 4 Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Es braucht zusätzliche „Springer“, um die bislang unbetreuten Gruppen mit zu beaufsichtigen. Neben den Fernunterricht tritt jetzt also der Präsenzunterricht, die Notbetreuung und auch noch die Springertätigkeit.

Im gleichen Monat findet ein digitales Forum Schulentwicklung mit Eltern und Schülerinnen und Schülern statt, in dem die Frage gestellt wird, was wir aus der Lockdown-Situation für die Entwicklung der Schule lernen können. Verschiedene Entwicklungslinien werden aufgezeigt, unter anderem die Frage einer Hybridisierung von Schule nach der Krise.

Noch vor den Osterferien organisieren fast alle Schulen in Deutschland ihre ersten Probetestungen. Fast alle Kolleginnen und Kollegen lassen sich ohne Murren fortbilden für die Begleitung der Corona-Selbsttests durch Schülerinnen und Schüler nach den Ferien. Eine Kollegin erstellt nicht nur das Testkonzept, sondern den gesamten Ablaufplan und den Fortbildungsmarathon.

Ein Ergebnis des oben genannten „Forum Schulentwicklung“ ist der Wunsch der Elternschaft, Gemeinschaft wieder zu spüren. Die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer der 5. und 6. Klassen organisieren eine Wanderung zu einem nahegelegenen Berg mit Kreuzweg bei idealen Wetterbedingungen. Außerdem erhält jeder Schüler und jede Schülerin der Schule eine persönlich geschriebene Oster-Karte durch die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer.

Das Kollegium trifft sich außerdem in einem Schulentwicklungsteam, um die freien Arbeitsformen an der Schule weiterzuentwickeln, und zwar 16 von 37 Kolleginnen und Kollegen. Freiwillig. An einem Freitag Nachmittag. Per Video.

Ausblick

Nach den Osterferien werden die ersten Dienstgeräte eintrudeln. Dafür braucht es Fortbildungen, die einige Lehrkräfte anbieten und alle anderen besuchen, um die Datenschutzvorschriften einzuhalten und die korrekte Bedienung sicherzustellen. In den nächsten Monaten wird sich die Hardware in den Klassenzimmern bedingt durch den Digitalpakt deutlich verändern.

Wir wissen, dass Schülerinnen und Schüler am Gymnasium, die in die Präsenz zurückkehren, nur zu einem geringeren Anteil fachliche Defizite aus der Phase des Lockdowns mitbringen werden. Aber die sozial-emotionalen Defizite werden spürbar sein. Dafür braucht es Konzepte, Personal, Kraft.

Vielleicht als kurzes Fazit: Die Osterferien und die damit einhergehende Ruhe sind mehr als verdient.

bookmark_borderGespür entwickeln: Meine Rede zur Amtseinsetzung

am 13.10.2020

Liebe Mitfeiernde,

spüren Sie etwas? Spürt Ihr was? 

Die Erwartungshaltung im Raum, vielleicht Vorfreude auf das, was an der Schule passieren wird oder gerade passiert oder auch die Sorge darüber, vielleicht auch Langeweile ob der Aussicht auf einen weiteren Redebeitrag, Zufriedenheit, weil ein weiterer Übergang abgeschlossen ist, ein leichtes Unbehagen, dass wir in diesen Zeiten mit so vielen Personen aus verschiedenen Kontexten in einem Raum sitzen, oder auch einfach nur die frische Brise um die Nase vom Durchlüften…

Was haben wir in den vergangenen letzten 7 Monaten seit dem Shutdown im März wegen eines Virus, das die gesamte Gesellschaft betrifft und beschäftigt, nicht alles gespürt?! Da gab es viele Momente der Hektik, der Überforderung, der Angst, aber auch Momente der Ruhe, des In-sich-Hineinspürens, der inneren Einkehr. 

Probleme wurden sichtbar, ja, “wie unter einem Brennglas” – übrigens eine der meistzitierten Metaphern dieser Krise. Pflegekräfte und Supermarktkassiererinnen wurden plötzlich als systemrelevant bezeichnet und neu wertgeschätzt, ihre Situation wurde wie unter besagtem Brennglas plötzlich stärker sichtbar, aber haben wir als Gesellschaft auch das Gespür bewiesen, diese Probleme angemessen anzugehen?

Das Wort “Gespür” verweist je nach Wörterbuch einerseits auf die Fähigkeit, einen verborgenen, nicht deutlich sichtbaren Sachverhalt gefühlsmäßig zu erfassen, also auf die Emotion – und andererseits auch auf die Vorahnung, wenn es heißt, das Gespür sei die Fähigkeit, etwas im Voraus zu erfassen, zu erahnen. Das Wort kann sich also auf die Gegenwart und auf die zu gestaltende Zukunft gleichermaßen beziehen.

Etwas spüren – das kann etwas sehr Schönes, etwas Berührendes sein, aber wir verspüren, wir empfinden  auch Langeweile, Enttäuschung, Trauer. Gefühle machen uns lebendig, sie sind am Ende das, was wir als Leben bezeichnen. Und wir spüren auch, dass sich gerade in dieser seltsamen Zeit eine Chance auftut für Verwandlung.

Ich weiß nicht, wie viele Artikel es in einer Phase nach dem ersten Schock gab zu Corona als Chance – auf viele wirkten sie aber immer irgendwie unpassend, bauen doch diese Chancen auf dem Risiko für andere Menschen auf. 

Dennoch beschreibt der Zukunftsforscher Roger Spindler in seinen Workshops und Vorträgen die Krise als Chance zum Innehalten. Er beschreibt, wie wir nun wahrnehmen, was vorher zum Teil verschüttet war und nun banal klingt: Der Mensch ist ein Teil der Natur, menschliche Beziehungen haben eine große Bedeutung. Gleichzeitig stellt Spindler fest, dass die verordnete Entschleunigung auch zu einer Beschleunigung der Resonanzen geführt hat: Wir haben nun auch “Bewegung” in der Welt (deutlich wird dies zum Beispiel an Bewegungen wie Blacklivesmatter). Das Gespür für das, was sich bewegen sollte, ist deutlich ausgeprägter als in der Prä-Corona-Zeit.

Beim Begriff der Resonanz bezieht sich Spindler augenscheinlich auf den Soziologen Hartmut Rosa, der die Resonanz als etwas beschreibt, das wir spüren:

  1. In Momenten der Berührung, wenn uns etwas bewegt
  2. In Momenten der Selbstwirksamkeit – ein ganz einfaches Beispiel dafür ist die Antwort auf eine Berührung, z. B. in Form einer Gänsehaut bei schöner Musik
  3. In Momenten der Anverwandlung, wenn uns Begegnungen zu einem anderen Menschen machen, prägen

Die Krise wirkt als Beschleuniger dieser Resonanzen: Corona ist also eine Chance für uns, ein Gespür dafür zu entwickeln, was von dem, was uns zu Menschen macht, noch stärker in Schule zu finden sein sollte. Wir haben die Chance zu begreifen, dass wir Schule in der Krise neu denken, nein, viel besser, verwandeln können. Der Benediktinermönch Anselm Grün verwendet gerne das Wort Verwandlung anstelle des Begriffs der Transformation, weil in der Verwandlung auch das Erhaltenswerte, das Gute, das Alte, enthalten ist, und so seine Wertschätzung erfährt, und gleichzeitig verheißt Verwandlung etwas Wunderbares.

Wenn wir es also schaffen, in der Institution Schule zwischen Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern und Eltern Resonanz entstehen zu lassen, wenn wir Momente der Berührung in Zeiten des “Social Distancing” (meines Erachtens übrigens ein schrecklicher Begriff) schaffen, und wenn wir verstehen, dass wir uns dafür auf eine permanente gemeinsame Spurensuche begeben müssen, dann gelingt uns der Spagat zwischen den Herausforderungen und Anforderungen der Gesellschaft (Zukunft der Demokratie, Klimawandel, grenzenloser Egoismus) und dem Besinnen auf das, was uns Menschen im Kern ausmacht.

Dann geht es am Ende nicht mehr um Inklusion, um Digitalisierung, um Hybrid-Unterricht, um G8 oder G9, sondern wir haben all diese Entwicklungen im Blick, auf Basis eines starken Glaubens (fortiter in fide, wie Bischof Sprolls Leitspruch lautete) und mit einer klaren Haltung, weil die Schülerinnen und Schüler als Menschen im Mittelpunkt unseres Bemühens stehen, und auch wir Lehrerinnen und Lehrer als Spürende, als Menschen, wahrgenommen werden.

(Danksagungen)

bookmark_borderÜbergänge

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

(Hermann Hesse: Stufen)

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Aktuell befinde ich mich in einem Übergang, beruflich wie privat: Neue Region, neue Arbeitsstelle, neue Aufgaben. Und ständig bekommt man das oben genannte Zitat von Hermann Hesse zu hören. Vermutlich soll es Mut machen und dafür sorgen, dass man diesen Übergang erfolgreich gestaltet. Vielleicht ist es auch nur ein Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit mit der Situation; damit, dass da jemand ist, der sich mitten in dieser Phase befindet und diese zu gestalten als Aufgabe hat; und man ist vielleicht selbst froh, dies nicht tun zu müssen. Mir selbst kommt es aktuell so vor, als würde dieser Zweizeiler allein der Komplexität des Übergangs nicht gerecht (und das wusste natürlich auch Hermann Hesse, denn sein Gedicht ist deutlich länger).

Es heißt, Rituale seien für die Gestaltung des Übergangs ein sehr wichtiges Mittel. Das Corona-Virus verhindert aktuell einige dieser Rituale. Dazu gehören aktuell auch Umarmungen und die Berührung im einfachen Händedruck als Zeichen der Verabschiedung und der Glückwünsche bzw. Danksagung. Auch Feiern sind aktuell nur sehr eingeschränkt möglich und es fehlt der Zauber des Loslassens.

Der französische Ethnologe Arnold van Gennep hat vor über 100 Jahren bereits zwischen drei Phasen des Übergangs entschieden: Der Ablösungsphase, der Umwandlungsphase und der Wiederangliederungsphase (vgl. Liechti-Genge 2016).

 

Ablösungsphase

Zu Beginn des Übergangs steht das Lösen vom bisher Gekannten. Und dabei geht es los mit dem Gefühlschaos aus Trauer, vielleicht auch Angst (denn man weiß ja noch nicht, wohin der Weg genau führen wird), aber auch Freude auf das Neue, und genauso Erleichterung darüber, dass man Einiges, das einen auch genervt hat, hinter sich lassen darf. Die Übergabe der vormals ausgeübten Aufgaben ist so ein Moment, indem viele dieser Emotionen parallel an die Oberfläche treten.

 

Zwischen- oder Umwandlungsphase

Im Französischen gibt es den Begriff des l’entre-deux, dem „Ort dazwischen“ (vgl. Liechti-Genge 2016). Die meiste Zeit fühlt sich der Übergang so an: Das Alte ist noch nicht ganz weg, das Neue ist noch nicht ganz da. In der Umwandlung steckt die Einsicht, dass die alten Fähigkeiten und Fertigkeiten und Einsichten im Neuen evtl. nicht mehr funktionieren. Es ist eine Phase der Verunsicherung, aber auch der Neugier und Offenheit, für Impulse, aber auch erneut für die breite Palette an Emotionen.

Kleiner persönlicher Einschub: Es ist wunderbar, wenn Menschen sich entscheiden, diesen Übergang mitzugestalten. Das trifft auf Kolleginnen und Kollegen zu, die sich fest vorgenommen haben, mich an meiner neuen Arbeitsstelle zu besuchen und im Austausch zu bleiben, aber auch und vor allem die Kolleginnen und Kollegen meiner neuen Arbeitsstelle, die die Mühen auf sich genommen haben, mich im Rahmen des Projekts „Zeitgemäß Lernen“ an meiner alten Schule zu besuchen und zu verstehen, worin der Kern meiner Arbeit zuletzt bestand. So darf ich ein Stück meiner alten Begeisterung mitnehmen, das Gefühl eines Übergangs mit Geländer kann entstehen. Danke!

 

Wiederangliederungsphase

Angeblich wird erst in dieser Phase die Tragweite der Veränderung spürbar. Das Einfinden in das Neue kostet viel Kraft, und am Ende kann ein Zustand entstehen, in dem ich im Neuen ankommen kann, die Umwandlung also beendet ist.

 

ZuMUTung

Zu Beginn des Übergangs habe ich mir die Frage gestellt, ob ich bereit bin, mir die Aufgabe der Schulleitung „zuzumuten“. In dieser Begrifflichkeit steckt einerseits der Gedanke, von sich selbst etwas zu verlangen, was man ggf. nur schwer leisten oder ertragen kann. Kann man unter solchen Umständen einen solchen Weg überhaupt antreten?

Andererseits ist der Kern eines jeden Übergangs genau in dem Wort Mut zu finden, das sich in der Mitte der Zumutung befindet. Franz Liechti-Genge (ebd.) schreibt dazu unter Bezug auf den Wortursprung des Wortes Courage (frz. coeur): „Mutig sein heisst also, mit dem Herzen dabei zu sein, beherzt das Leben wagen. Das Leben wagen bedeutet eben auch, sich diese Übergänge zuzumuten.“

 

Übergänge gestalten

Wenn Rituale wie in der aktuellen Situation aktuell nur eingeschränkt der Gestaltung des Übergangs dienen, dann muss man sich ggf. einfacherer Formen bedienen, zum Beispiel, in dem man den Übergang als solchen bezeichnet und auch dadurch zelebriert. Vielleicht hilft auch schon das, genau das auszuhalten, was so wichtig ist: l’entre-deux, das Dazwischen.

Dieser Text ist vermutlich in dieser Form entstanden, weil es eine hohe Deckungsmenge zwischen meiner aktuellen persönlichen Erfahrung und der Verwandlung des Schulwesens im Kontext der Kultur der Digitalität und den konkreten Anforderungen im Angesicht der Corona-Krise gibt. 

 

 

Literatur

Hesse, Hermann: Stufen. Zitiert nach: https://hhesse.de/gedichte/stufen/, abgerufen am 24.07.2020

Liechti-Genge, Franz (2016): Übergänge – wahrnehmen, gestalten, leben. https://www.ebi-zuerich.ch/cm_data/EBI-Uebergaenge-FranzLiechti-Genge.pdf, abgerufen am 24.07.2020