bookmark_borderZeigt die Tagung „Mobile Schule 2023“, dass wir Schule fit für die Zukunft machen werden?

Hannover, 4.-5. September 2023. Die Sonne scheint, die Halle des HCC ist gut gefüllt mit Ständen wie bei der Didacta oder der Learntec (etwas ausgewählter allerdings). Außen herum sind aufblasbare Boxen für die Workshops (die mit ihrer Ausleuchtung ein wenig an die Allianz-Arena erinnern), es gibt Ohrhörer, Sender und Empfänger für die lauten Bereiche, um für die Inhalte dem Messetrubel zu entkommen. Laut Veranstalter sollten sich hier 1000 Menschen begegnen.

Was fällt auf? Es sind viele Trägervertretungen unterwegs, zudem Menschen mit internationalem Hintergrund, die das Interesse haben, etwas für das deutsche Schulsystem zu tun, vielleicht: etwas zurückzugeben. Die Stimmung ist wohlwollend, konstruktiv, und man kann bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Workshops mehr Wissen und Fähigkeiten voraussetzen.

KI überall

Wo man auch hinschaut: Das Thema Künstliche Intelligenz spielt fast überall eine Rolle:

  • KI in der beruflichen Bildung
  • Wie werden SuS KI-kompetent?
  • KI-Werkstatt
  • KI im Gesellschaftsunterricht
  • Deutsche Bildungslandschaft: Von Standardisierung bis KI
  • KI – was nun passieren muss
  • Kann KI den Planeten retten? BNE mit dem KI-Campus
  • Alternative, digitale Prüfungen mit KI
  • usw.

Wieder einmal wird die Revolution von Schule ausgerufen, könnte man meinen. Aber dem ist nicht so. Alle beäugen neugierig, wissen noch nicht so recht, tasten sich heran. Informatiker, die an Schulen arbeiten, erzählen beim Tagungsfest am Abend inoffiziell, dass sie bleich wurden, als sie zum ersten Mal ChatGPT nutzten, und danach hätten sie 3 Tage nichts anderes gemacht als mit Prompts zu versuchen, die Fähigkeiten dieser KI auszutesten. Mich beunruhigt es, oder zumindest beschäftigt es mich, wenn selbst ausgewiesene Experten feststellen, dass sie mit der Entwicklung nicht Schritt halten können.

Need for speed?

Wie soll Schule da mithalten? Muss sie das überhaupt? Antworten liefern vielleicht Strukturen wie die Erfahrungen von Thomas Lange aus 30 Jahren in England, wo er als Head of Digital zahlreiche Schulen durch die englischen Digitalpakt-Verfahren gelotst hat. Seine Pedtech-Map, inklusive Analyse der nächsten ToDos, mag Schulen vielleicht ein wenig bei der Gestaltung der Hardware und beim Fitmachen der Kollegien für die technischen Erfordernisse helfen.

Dazu kommen noch Schulentwicklungsstrukturen, die die Offenheit besitzen, neue Entwicklungen konstruktiv aufzugreifen und positiv anzugehen. Oder, um es in den Worten der Engländer zu sagen:

Experience is what you get when you don‘t get what you want.

Die Workshops zu agiler Unterrichtsentwicklung (z. B. von Niels Winkelmann oder Ruth Stocker) waren sehr gut besucht. Mein eigener Beitrag bestand darin, Elemente „brauchbarer Illegalität“ beim Handeln auf Schulebene herauszuarbeiten, um bei (zu) langsamer Kultusverwaltung als Schule trotzdem den Anforderungen der heutigen Zeit gerecht werden zu können, durch die Ausweitung der Grauzone und das Austesten kreativer Lösungen.

Unternehmen sind weiter

Wenig überraschend sind Unternehmen in der Nutzung adaptiver Lernsysteme weiter als die Schulen. Sicher stellen diese nicht die Revolution von Schule dar, aber sie versetzen vielleicht Lehrkräfte in die Lage, die wirklich wichtigen Aufgaben von Schule stärker in den Blick zu nehmen, weil diese nicht mehr endlos Zeit für die Korrektur und Begleitung des Aufbaus von Basiswissen und Basiskompetenzen benötigen. Ein spannendes System ist dabei „Area 9 Lyceum“, ein System, dem für den schulischen Einsatz noch der Content fehlt. Die Zusammenarbeit zwischen innovativer Tech-Branche und den traditionellen Content-Lieferanten (auch im Sinne von didaktisch gut aufbereitetem Material) scheitert oft noch. Dieses System basiert prinzipiell auf Fadels „Vier Dimensionen der Bildung“. Fadel sitzt auch selbst im Advisory Board. Wenn ich das richtig verstanden habe, gelingt es dem Algorithmus (eine Form der gezielt begrenzten KI für bessere Ergebnisse), Lernpfade zu verknüpfen, was gegenüber anderen adaptiven Lernsystemen (zum Beispiel im Bereich Mathematik), die hauptsächlich einen linearen Lernweg verfolgten, ein Durchbruch sei.

Wer ist mutig?

Manchmal möchte ich wissen, was möglich wäre, wenn ein technisches System zum adaptiven Lernen sich durchsetzte, die Verlage mit ihrem guten Content andocken könnten, Schulen vom Ballast der Vermittlung und Testung von Basiswissen vielleicht nicht ganz befreit würden, aber dennoch etwas entlastet. Und dann könnten Lehrkräfte auf dieser Basis mit Schülerinnen und Schülern spannende, kreative Projekte angehen, die die 21st century skills fördern, sie könnten Erlebnisse schaffen, Orientierung geben, begleiten, Lust machen auf Lernen, und so viel mehr von dem, für das wir Lehrkräfte geworden sind. Mit, aber auch ohne Technik. Weil es um die Menschen geht.

Was bleibt also?

Ja, was bleibt also von dieser Tagung Mobile Schule 2023? Ein fantastisches, zugewandtes Orga-Team, das alle Voraussetzungen dafür schafft, dass sich Menschen aus Kultusverwaltungen, Tech-Branche, Verlagen, Wissenschaft und Praxis begegnen können. Die Hoffnung, dass es in diesem Land ausreichend Menschen gibt, die nicht erstarren, wenn neue Entwicklungen wahrgenommen und gestaltet werden wollen. Die Gewissheit, dass sich Schule (in Deutschland) nur sehr langsam bewegen wird, aber dass es schon jetzt ausreichend Mutige gibt, die losgelaufen sind. Das gibt mir Kraft.

(Kleine Anekdote am Rande: Auf dem Rückweg des Empfangs am Vorabend zur Tagung kamen wir an diesem „abgestürzten“ Werbeschild vorbei, Bios-Version 1997-2000)

bookmark_borderOhne Schulentwicklung keine Schule

… schrieb ich für das Mobile Schule Magazin.

Warum?

Zuhören, (re)agieren, sich hinterfragen, und das auf der Basis von Prinzipien: All das braucht eine Schule, die ernstgenommen werden will.

Hier der Link (Seite 48, ganz am Ende des Heftes)

bookmark_borderDie Unsicherheit der Lehrkräfte

Ein Besuch bei der deutschen Bildungsdirektion in Südtirol lieferte spannende Einblicke in die Reformfähigkeit des Systems Schule. Vor dem Besuch hatte ich das Bild, dass Schulen und ihre Lehrkräfte vor allem mehr Freiräume brauchen, dann kann sich sowohl die Einzelschule als auch das System als Ganzes weiterentwickeln. Dies lässt sich aus der Erfahrung in Südtirol so nicht bestätigen. Aber von Beginn an…

Rahmenbedingungen in Südtirol

In Südtirol haben Schulen eine eigene Rechtspersönlichkeit, können also sehr eigenständig handeln und ihr Budget verwalten. Ein zentralisierter Bereich ist jedoch die Personalausstattung. Hier haben die Schulen keine Autonomie. Ein Vorwurf durch die Schulleitungen ist dabei, dass diese Form der Eigenständigkeit zu hoher Verwaltungstätigkeit geführt hat. Wer sehr akribisch alle Anforderungen in diesem Bereich erfüllt, kommt als Leitung zu wenig anderem.

Inklusion ist selbstverständlich. Es gibt eine gemeinsame Schule bis zu Alter von 14 Jahren. Es wird entsprechend differenziert und mit Personal ausgestattet.

Es gibt in der Bildungsdirektion ein “Hashtag-Team”, das Diskussionen und Erkenntnisse, auch aus dem Twitterlehrerzimmer, aufbereitet und in die Fortbildungen einspeist.

Es gibt Rahmenlehrpläne, die wirklich nur einen Rahmen darstellen. Oftmals sind Begriffe wie “Klassenarbeit”, “Prüfung” o.ä. gar nicht mehr aufgeschrieben und die Schule hat eine sehr große Gestaltungsfreiheit.

Gestaltungsfreiheit als Problem

Und jetzt kommt das Problem: Diese Freiheit schafft in der Praxis (derzeit?) in Südtirol eine große Unsicherheit. Die Freiheiten werden nicht genutzt. “Man” hält sich auf Schulebene lieber an Althergebrachtem fest. Jetzt könnte man meinen, dass für die Veränderung die Ressourcen fehlen. Dem ist aber anscheinend nicht so. Statt dessen gibt es wohl zunehmend Anfragen aus den Schulen im Stile von: “Gibt mir Ressourcen, damit ich möglichst nichts an meinem Unterricht verändern muss.” Die aktuellen Herausforderungen und die fehlende Passung der Unterrichtsgestaltung werden gesehen, was auch zu Überforderungserleben führt. Die Bereitschaft, etwas Grundsätzliches daran zu ändern, ist jedoch geringer ausgeprägt.

Woher kommt die Unsicherheit?

Ich habe mir die Frage gestellt, ob es dann an der Zusammensetzung der Kollegien liegt, in denen man es mehrheitlich gewohnt ist, gesagt zu bekommen, was der Rahmen des eigenen Handels ist. Und darauf wird ja auch im Alltag regelmäßig Bezug genommen:

  1. “Ich muss doch Noten machen!”
  2. “Der Bildungsplan sagt doch…”
  3. “Dafür gibt es Nachsitzen, denn §90 Schulgesetz besagt…”

Und gleichzeitig kann man Lehrkräften in dieser Hinsicht vermutlich gar keinen Vorwurf machen. Denn auch Eltern sind strukturkonservativ, erwarten von Schulen, vor allem an den Gymnasien mit dem entsprechenden fachlichen Anspruch, das Arbeiten in bereits bekannten Strukturen. Das Gymnasium lief so gut für sie, hat sie gut auf das Leben vorbereitet. Ihren Kindern kann es also nicht schaden.

Visionen für das System Schule

Einmal mehr frage ich mich: Was braucht es also, um das System Schule wirklich weiterzuentwickeln? Vielleicht muss der Mut zu Veränderung wirklich vorgelebt werden, von den Kultusverwaltungen ausgehend, nicht die Angst vor Anpassungen, vor Reaktionen auf das echte Leben. Dafür braucht es eine gemeinsame Grundhaltung, dass das System, ebenso wie seine Akteure, dauerhaft lernbereit sein muss, um erfolgreich zu sein. Wo – außer in anderen Ländern – kann man Ansätze dazu sehen? Ich hoffe auf Antworten bei der Konferenz Bildung Digitalisierung 2022.

bookmark_borderForum Digitalisierung der ELK-WUE: Die “Guten” fangen an, das Internet zu nutzen

 

 

 

 

 

Vor kurzem schrieb Jan Böhmermann folgenden Tweet:

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Diesen Tweet könnte man passend zur Veranstaltung „Forum Digitalisierung“ der Evang. Landeskirche Württemberg (#elkwuedigital) erweitern:

“Die Feinde gesellschaftlicher Werte wie Toleranz, Zusammenhalt und Nächstenliebe nutzen das Internet, die (institutionellen) Vertreter ebendieser Werte noch nicht.”

Vor diesem Hintergrund war das „Forum Digitalisierung“ der Evangelischen Landeskirche mit den Keynote-Speakern Dirk von Gehlen von der SZ (Buch: Das Pragmatismusprinzip) und Peter Schreiner, dem Leiter des Comenius-Instituts, eine Veranstaltung, die Hoffnung macht(e).

Endlich wird die Digitalisierung in Kirchenkreisen nicht mehr nur unter dem Aspekt der Gefahren und Probleme diskutiert. Bisher waren Veranstaltungen dieser Art tendenziell eine Ansammlung von Menschen, die beklagen, dass bestimmte Werte in der Gesellschaft verloren gingen und die Kirchen einen Bedeutungsverlust erlitten.

Dirk von Gehlen fragte dann auch anschaulich am Beispiel der deutschen Autoindustrie, die verpasst habe, dass ihr Bereich sich nun hauptsächlich um Software dreht (am Beispiel des Software-Problems „Dieselskandal“), was die „Software“ der Kirchen sei. Dieser Aufruf wurde dankend aufgenommen.  Auch Peter Schreiner, Leiter des Comenius-Instituts in Münster, rief dazu auf, die positiven Werte der Digitalisierung wahrzunehmen und gestalten zu wollen.

Sichtbar wurde dies bereits an Verfahren und Methoden (wie z. B. Ethical Design Sprints), aber auch an grundsätzlichen Haltungsfragen. Schulen – und Bildungsinstitutionen insgesamt – werden mehr und mehr als Transmissionsriemen in Fragen der Gestaltung von Gesellschaft wahrgenommen, nicht nur als Empfänger vorgegebener (und teils nicht ausdiskutierter!) gesellschaftlicher Erwartungen. Dirk von Gehlen wies darauf hin, dass Fake News hauptsächlich von Männern über 60 verbreitet würden, die man über Bildungsprozesse nicht mehr erreicht. Es muss also weit vorher die Konfrontation mit anderen Perspektiven als grundlegende Aufgabe von Schule und Gesellschaft geschehen, gleichzeitig Ambiguitätstoleranz und der Umgang mit Graubereichen eingeübt werden. Zentrale Verhandlungszone sind die Bildungsinstitutionen.

Warum gelingt uns dies manchmal in Deutschland nicht so gut? Dirk von Gehlen meint, die aktuelle Nostalgie, die man vor allem in der Medienbranche spürt, rühre daher, dass man in den 90ern noch Geld verdient habe, und sich die Rahmenbedingungen nun grundlegend geändert hätten. Man sei vielleicht im Westen insgesamt zu satt geworden. Übertragen auf den Bildungsbereich geht es sicherlich vielen Lehrerinnen und Lehrern ebenso, dass ihre Kompetenzen gefühlt entwertet werden, und von ihnen eine Reaktion auf den Leitmedien- und damit auch Paradigmenwechsel erwartet wird.

Es bleibt sicherlich die Aufgabe, Menschen in Bildungsinstitutionen zu stärken, Ihnen zu verdeutlichen, dass Ihre Perspektiven sehr wertvoll für auch grundlegend veränderte Lernsettings sein können und auch sein werden. Und dass es gleichzeitig notwendig ist, dass man sich bewegt, damit Schule und auch bestimmte gesellschaftliche Werte, die uns gemeinsam wichtig sind (oder sein sollten?) nicht an Relevanz verlieren.

Packen wir’s an.

Hier geht es übrigens noch zum offiziellen Bericht. Angeblich soll die Vorträge dann in Kürze auch noch als Video geben. Es lohnt sich.

 

bookmark_borderWarum ich Schulentwickler bin: Persönliche Hintergründe zum Buch “Die agile Schule”

Dieser Artikel ist ein sehr persönlicher Kommentar zu unserem gerade erschienenen Buch: Die agile Schule – 10 Leitprinzipien für Schulentwicklung im Zeitalter der Digitalisierung.

 

 

 

Hier ist es bestellbar (aber natürlich auch über die üblichen Kanäle)
Inhaltsverzeichnis
Musterseite zum Leitprinzip: Alles Gute kommt von unten

 

Als ich nach dem Referendariat 2008 voller Tatendrang an das Evangelische Firstwald-Gymnasium in Mössingen wechselte – eine bewusste Entscheidung, angesichts der erlebten Offenheit im Bewerbungsgespräch und in der Gebäudegestaltung – fand ich Strukturen vor, die stark vom Schulleiter Helmut Dreher und vom Abteilungsleiter für Schulentwicklung, Friedemann Stöffler, geprägt waren: Irgendwie wirkten alle so motiviert und voller Tatendrang, so positiv und engagiert und es gab im Kollegium praktisch keine Grüppchenbildung. Wer etwas verbessern wollte, durfte fast immer einen Vorschlag machen oder die Optimierung selbst angehen. 

Besuch von der Schulpreiskommission
Lange Zeit verstand ich nicht, warum diese Grundhaltungen so ausgeprägt waren, auch noch nicht, als ich bereits nach 1,5 Jahren an dieser Schule in den Bereich “Schulentwicklung” einstieg. Ich wurde zuvor gefragt, ob ich mir das vorstellen könne. Ich war so jung, dass ich den Gehaltssprung (auf A14), der mit dieser Aufgabe verbunden war, rechtlich noch nicht mitmachen konnte. Aber das war mir egal. Es schwante mir zum ersten Mal wohl im Rahmen des Bewerbungsprozesses zum Deutschen Schulpreis 2010, was an dieser Schule gut lief. Gegenüber der Kommission, die uns besuchte, formulierte ich dann auch: “Ich kann mich als junger Kollege hier jederzeit einbringen, Ideen werden wertgeschätzt und gefördert, und es wird darauf vertraut, dass es gelingen wird.”

Kollegialer, aktivierender Führungsstil
Im Laufe der Zeit wurde mir dann bewusst, dass die Art der Führung der Schule eine Schlüsselrolle spielt(e). Diese fußte auf Grundhaltungen, die vom Schulleiter zwar theologisch begründet wurden (Martin Buber: Ich und Du), aber genauso in der modernen Management-Theorie zur agilen Führung vorkommen würden. Gemeint sind die Orientierung am Menschen, die Begegnung auf Augenhöhe nicht nur als Worthülse, das geschenkte Vertrauen, die Bereitschaft zur Delegation auch sehr bedeutsamer Aufgaben, die Betonung der Gemeinsamkeit, die Offenheit für Neues, der Mut zum Risiko und zum Ausprobieren (“Prototyping”) uvm.

Es gab und gibt ein Schulleitungsteam, das mit insgesamt sechs Personen für so eine kleine Schule vergleichsweise breit aufgestellt ist; und in diesem Team saßen auch der Abteilungsleiter für Schulentwicklung, Friedemann Stöffler, und später auch ich selbst in der gleichen Rolle.

Schulentwicklung lernen
Von 2009-2014 arbeiteten dann Friedemann und ich gemeinsam und dialogisch als Schulentwickler. Ich habe in dieser Zeit sehr viel lernen dürfen, denn 2010 folgte der Schulpreis für unsere Schule für eben diesen Bereich – Schulentwicklung – und plötzlich war unsere Schule im Fokus der Öffentlichkeit und der anderen Schulen; wir hatten Hospitantinnen und Hospitanten an unserer Schule und besuchten auch selbst regelmäßig andere Schulen für Entwicklungsideen. Andere Menschen sagten uns, was bei uns gut lief, und wir lernten unsererseits viele Schulen kennen.

Auch das Projekt Abitur im eigenen Takt stand sinnbildlich für die bereits erwähnten Haltungen: Man versucht aus Idealismus eine Reform des Bildungswesens auf höchster Ebene (KMK). Die Idee ist, dass Schülerinnen und Schüler selbst entscheiden können, ob sie die Kursstufe in zwei oder drei Jahren absolvieren – und die Leistungen aus drei Jahren sollen dabei anerkannt werden können. Bis heute gibt es zwar einerseits keine offizielle Genehmigung für diese Idee, aber die Reformideen zur Neuen Oberstufe, die Umsetzung freier Lernangebote (LeAs) am Firstwald, das Innovationslabor G-Flex der Deutschen Schulakademie uvm. deuten darauf hin, dass sich Elemente davon im Sinne der Schülerinnen und Schüler dennoch Bahn brechen werden.

Ich persönlich habe im Schullabor zum Projekt Abitur im eigenen Takt gelernt, was es bedeutet, intensiv mit anderen Schulen an pädagogischen Fragen zu arbeiten, was es bedeutet, deutschlandweit Vorträge zu bildungspolitischen Fragen zu halten um seine Ziele zu erreichen, wie größere bundesweite Tagungen organisiert werden und worauf es beim Projektmanagement ankommt, und auch, dass eine Aufgabe nicht immer nur Energie kostet, sondern im Gegenteil auch Energie geben kann, auch wenn sie viel Zeit in Anspruch nimmt.

Leitprinzipien der Schulentwicklung
Für unsere Hospitationsgäste stellte Friedemann Stöffler dann irgendwann einmal eine Liste von Dingen auf, die ihm in Schulentwicklungsprozessen wichtig sind. Viele von diesen Prinzipien haben es jetzt auch in die Aufzählung in unserem Buch geschafft. Ich habe mir diese Liste damals ausgedruckt und direkt neben meinen Schreibtisch gehängt, als ich die Aufgabe als Abteilungsleiter für Schulentwicklung im Jahre 2014 von Friedemann übernahm, der seinerseits danach den Ganztagesbereich an unserer Schule gestaltete. Ich spürte die Verantwortung für diese Nachfolge und es tat gut, von Friedemann zu hören, dass ich mir das erste Jahr nehmen solle, um in dieser neuen Aufgabe anzukommen.

Erste Projekte waren dann auch eher der Nachhaltigkeit gewidmet, z. B. getroffene Entscheidungen des Kollegiums neu zu durchdenken und inhaltliche Struktur aufzubauen. Aber bereits 2015 stand die Schlussklausur des Schuljahres unter dem Motto: “Werkstätten – große und kleine Baustellen angehen”, unser erstes Barcamp an der Schule. Der Einsatz dieser Methode, sicherlich kennengelernt im Twitterlehrerzimmer bzw. ganz konkret über ein EduCamp, zeigte, wie Form und Inhalt, wie die Ideen der Leitprinzipien und die konkrete Arbeitsweise ineinandergreifen können.

Das Projekt “Zeitgemäß Lernen” und die Leitprinzipien
Im Jahr 2016 startete dann mit einem Kick-Off der Prozess “Zeitgemäß Lernen”, der bis heute zum Ziel hat, den Unterricht, ja die Schule insgesamt, neu und zügiger auszurichten an den Anforderungen der Gesellschaft, aber vor allem Schülerinnen und Schüler zu befähigen, diese nicht nur zu erfüllen, sondern aktiv und mündig mitzugestalten. Dieser Prozess wurde in diesem Blog ausführlich begleitet.

Und auf einmal waren sie alle in der Anwendung, diese Leitprinzipien. Ohne es zu Beginn zu merken wurde der gesamte Schulentwicklungsprozess durch sie organisiert und geprägt; ich hatte sie verinnerlicht, nein, wir hatten sie verinnerlicht: Mein Schulentwicklungspartner Michael Hirscher, der IT-Verantwortliche Philipp Reitter und das gesamte Schulleitungsteam. Schon sehr früh war so klar für uns als Schule, dass wir das Thema “Digitalisierung” als Schulentwicklungsprozess behandeln würden, nicht als Digitalisierungsprozess. Es war undenkbar geworden, von “Tabletklassen” zu sprechen (wir haben ja auch keine “Heftklassen”), unreflektiert teure interaktive Whiteboards anzuschaffen (wir haben bis heute kein einziges) oder auch nur diesen Weg als Schule alleine zu gehen, ohne uns mit anderen Schulen auszutauschen oder von ihnen inspirieren zu lassen.

Haben wir auch Fehler im Prozess gemacht? Aber sicher, sehr viele; vor allem haben wir die Leitprinzipien vermutlich manchmal besser nach außen als nach innen kommuniziert.

Dankbarkeit und Inspiration
Für alle diese Erfahrungen bin ich dem Firstwald-Gymnasium mit seinem Träger, seinem Schulleiter Helmut Dreher, seinem ehemaligen Schulentwickler Friedemann Stöffler und dem gesamten Kollegium in all seiner Offenheit für Veränderungen unendlich dankbar. Mit dem Buch “Die agile Schule” liegt das Fazit dieser fruchtbaren Zusammenarbeit vor, in der Hoffnung, dass die Ideen darin vielen Schulen im deutschsprachigen Raum weiterhelfen mögen, indem sie einerseits neue Wege im Denken aufzeigen, andererseits aber vielleicht auch Reibungen hervorrufen, denn diese erzeugen ja bekanntlich immer Wärme und setzen Energie frei.

Viel Vergnügen bei der Lektüre und viel Erfolg beim Weg hin zu einer (noch) besseren Schule, die den wunderbaren Menschen, die sie besuchen (müssen) gerecht wird.
 

 

 

bookmark_borderPrivatschulen für alle, oder: Wider die stille Privatisierung des Bildungswesens

Hier meine aktuelle Kolumne für das Deutsche Schulportal zum Thema “Privatschulen”. Obwohl ich selbst an einer Privatschule arbeite, stehe ich der Teilung des Systems durchaus kritisch gegenüber. Eigentlich wünschte ich, alle Schülerinnen und Schüler würden in den Genuss von “Privatschulleistungen” kommen. Welche das sind, versuche ich im Artikel zu definieren, aufbauend auf einem Podcast, bei dem ich vor einiger Zeit zu Gast sein durfte.

 

bookmark_borderDie Debatte um G8 oder G9 führt am Ziel vorbei

Hier geht’s zu meiner aktuellen Kolumne für das Deutsche Schulportal zum Thema “Flexibilisierung im Bildungssystem”, z. B. durch ein Abitur im eigenen Takt.

Wen es genauer interessiert: Die Beispiele stammen z. T. aus einem Vortrag von Frau Prof.’in Sliwka (Uni Heidelberg) auf der Tagung “Oberstufe neu gestalten – Bildung der Zukunft” vom 4.04.2017, hier nachzuhören, und dem gemeinsamen Workshop von Frau Sliwka und mir anschließend.

bookmark_borderWas Schulen für zeitgemäßen Unterricht wirklich brauchen

Hier meine aktuelle Kolumne für das “Deutsche Schulportal”. Schulleiterinnen und Schulleiter, Lehrerinnen und Lehrer sollten sich nicht ihrer pädagogischen Kernkompetenz berauben, sondern diese im Gegenteil im Digitalisierungsprozess aktiv einbringen, damit nicht Technikunternehmen bestimmen, was und wie in Zukunft an Schulen unterrichtet wird.

https://deutsches-schulportal.de/stimmen/die-zukunft-der-paedagogik-darf-nicht-google-gehoeren/

 

 

bookmark_borderEin Innovationsfonds für Schulentwicklung

Es ist eine Frage, die mich seit geraumer Zeit umtreibt. In einer sich radikal wandelnden Gesellschaft bewegt sich die (Kultus-)Bürokratie wie in schwerer Tanker. Egal, wie agil Schulen und andere Bildungsinstitutionen reagieren wollen, der Rahmen, in dem sie sich bewegen, ist alles andere als agil gestaltet und so nicht nur unflexibel, sondern auch (zu) langsam für die Anforderungen des 21. Jahrhunderts.

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Schule könnte schneller auf gesellschaftliche Herausforderungen reagieren

Inhaltliche und formale Vorgaben gleichzeitig

Die Vorgaben der Kultusbürokratie sind immer noch sehr eng; im Rahmen der Kompetenzorientierung hätte sich die Chance ergeben, Inhalte und Umsetzungsvarianten flexibler zu gestalten und stärker vom Output her zu kontrollieren. Bisher hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Ein Beispiel: Die KMK legt für das Abitur gemeinsame Standards und Inhalte fest und entwickelt sogar einen gemeinsamen Aufgabenpool, gleichzeitig wird immer noch die Form kontrolliert (z. B. müssen es 2 Jahre Kursstufe sein, nicht mehr, aber auch nicht weniger).

Wie öffnet man ein solches System? 

Die Lösung könnte ein Innovationsfonds sein, bzw. besser noch: mehrere. Denn ein System, das sich mit dem Lernen beschäftigt, muss selbst ein lernendes System sein wollen. Dies gelingt durch die Ermöglichung von Schulversuchen (auch auf KMK-Ebene) und auch auf Landesebene – die Expertise vor Ort wird genutzt und multipliziert. Auch das Scheitern gehört dazu und kann weiterhelfen. Natürlich gibt es Schulversuche bereits, allerdings finden diese nur in sehr begrenztem Rahmen statt und sind stark reglementiert. Auf KMK-Ebene finden praktisch keine Anträge statt, weil sich die Bundesländer dadurch exponieren und sich im föderalen Kuhhandel Nachteile einhandeln. Ein Innovationsfonds könnte die Ebene unter dem Schulversuch gestalten helfen.

Skizze eines Innovationsfonds

  • Das Kultusministerium stellt einen bestimmten Betrag bereit und ermöglicht Schulen, sich für den Fonds zu bewerben.
  • Zugelassen sind ausschließlich pädagogisch-didaktische Innovationsversuche. Die Erweiterung oder Aktualisierung der Ausstattung o.ä. ist damit ausgeschlossen.
  • Der Betrag ist zu 2/3 von den Schulen frei zu verwenden für zeitliche Ressourcen, Hospitationen (im Ausland), Tagungen, Austausch mit anderen Schulen etc.
  • 1/3 des Betrages ist gebunden an die obligatorische Multiplikation der Idee, und zwar als Fortbildung für interessierte Schulen. So entsteht nicht nur Expertise vor Ort, sondern ein echtes Bottom-up-System zur Innovation.

Kritik

Natürlich kann man kritisieren, dass Schulen, die organisatorisch und personell besser aufgestellt sind, auf diese Weise wieder schneller an Ressourcen kommen und sich Ungleichheit verstärkt. Andererseits ist es eine Frage der Förderkriterien, genau diese benachteiligten Schulen im Blick zu haben. Es geht nicht um Eliteschulen, es geht nicht um Leuchttürme, sondern um ein Lernen des Systems. Dadurch muss der Austausch der Schulen einen Raum bekommen.

Diesen Raum füllen bisher Initiativen wie Blick über den Zaun, Innovationslabore der Deutschen Schulakademie (Robert-Bosch-Stiftung) oder Schulen im Aufbruch. Und sie tun das nicht schlecht. Was fehlt, ist die Durchsetzungskraft der Ideen – und da braucht es dringend die Anbindung an, nein mehr, die Unterstützung der Kultusministerien bzw. der KMK.

bookmark_border(Eine) Diktatur des Datenschutzes

… herrscht im Bildungssystem, schrieb ich hier für das Deutsche Schulportal.

Ich freue mich schon auf Juristen, die mir vorwerfen, dass ich ein Grundrecht in Frage stelle. Das tue ich nicht, aber ich fordere eine Debatte über die Gewichtung von konfligierenden Grundrechten – hier: Datenschutz und Bildung.

Eine kleine Präzisierung: In der Einführung wirkt es so, als sei die Europäische Datenschutzgrundverordnung das Problem. M.E. löst diese viele Unklarheiten. Nun ist es an den Bundesländern, endlich den Schulen ein Arbeiten im digitalen Zeitalter zu ermöglichen, indem Datenschutz klar geregelt ist und Spielräume zum Arbeiten lässt. Dazu zählt auch, sich um Verträge mit Anbietern zu kümmern und dies nicht einzelnen Schulen aufzubürden.